11 - Nie sollst Du vergessen
aussah mit diesem Ausdruck im Gesicht. Und Furcht war auf der Straße der Feind jeder Frau.
»Nein«, sagte er. »Ich musste gerade an meine Mutter denken.«
»Ach was!« Sie verdrehte die Augen. »Gleich werden Sie mir sagen, dass ich Sie an sie erinnere, was?«
Nkata lachte laut heraus bei dem Gedanken. »Ganz bestimmt nicht«, entgegnete er immer noch lachend.
Sie kniff die Augen zusammen. Die Aufzugtür öffnete sich schleppend. Sie traten aus der Kabine.
Auf dem Parkplatz hinter einem Streifen welken Rasens standen ein paar Autos, die einiges darüber aussagten, in was für wirtschaftlichen Verhältnissen die Leute in der Siedlung lebten. Yasmin Edwards führte Nkata zu einem Ford Fiesta, dessen hintere Stoßstange so schief hing, als hätte sie einen schweren Schlag erhalten. Der Wagen war einmal rot gewesen, inzwischen hatte Rost fast überall die Farbe gefressen. Langsam ging Nkata um den Wagen herum. Der rechte vordere Scheinwerfer hatte einen Sprung, sonst war, abgesehen von der hinteren Stoßstange, alles in Ordnung.
Er kauerte vor dem Auto nieder und leuchtete mit seiner Taschenlampe unter das Chassis. Dann ging er nach hinten und wiederholte die Inspektion. Er ließ sich Zeit. Yasmin Edwards stand schweigend dabei, die Arme fröstelnd um ihren Oberkörper geschlungen, den das kurze Sommertop kaum vor dem Wind und dem Regen schützte, die eingesetzt hatten.
Als Nkata die Prüfung des Wagens abgeschlossen hatte, richtete er sich auf. »Was ist mit dem Scheinwerfer passiert?«, fragte er.
»Mit welchem Scheinwerfer?« Sie ging am Auto entlang nach vorn und sah sich den Scheinwerfer an. »Keine Ahnung«, sagte sie dann, und zum ersten Mal, seit sie gehört hatte, wer Nkata war, wirkte sie nicht aggressiv, als sie mit den Fingerspitzen über den gezackten Sprung im Glas strich. »Die Lichter funktionieren noch, darum ist es mir nicht aufgefallen.« Sie fröstelte jetzt stärker. Nkata zog seinen Mantel aus. »Hier«, sagte er und reichte ihn ihr. Sie nahm ihn.
Er wartete, bis sie den Mantel übergezogen und fest um sich gewickelt hatte und er sah, wie sie dastand, geschützt vom hochgestellten Kragen, der einen gerundeten Schatten auf ihre dunkle Haut warf. Dann sagte er: »Sie benutzen den Wagen beide, nicht wahr? Sie und Katja Wolff.«
Und noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, riss sie sich den Mantel herunter und schleuderte ihn Nkata hin. Wenn es einen Moment ohne Feindseligkeit zwischen ihnen gegeben hatte, so hatte er ihn augenblicklich wieder zerstört.
Sie sah zu ihrer Wohnung hinauf, wo Katja Wolff in der Küche Tee kochte. Dann richtete sie den Blick auf Nkata und sagte ruhig, die Arme wieder um ihren Oberkörper geschlungen: »Ist das alles, was Sie von uns wollen, Mann?«
»Nein«, antwortete er. »Wo waren Sie gestern Abend, Mrs. Edwards?«
»Hier? Wo sonst? Ich habe einen Sohn, der seine Mutter braucht, wie Ihnen vielleicht aufgefallen sein wird.«
»Und Miss Wolff war auch hier?«
»Ganz recht«, sagte sie. »Katja war auch hier.« Aber es schwang bei dieser Behauptung etwas mit, das nahe legte, dass sie nicht der Wahrheit entsprach.
Wenn jemand lügt, verändert sich immer irgendetwas an ihm. Nkata hatte das schon hunderte von Malen gehört. Horchen Sie auf das Timbre der Stimme, hatte man ihn gelehrt. Beobachten Sie die Pupillen, die Bewegungen des Kopfes. Achten Sie darauf, ob sich die Schultern anspannen oder lockern, ob sich die Muskeln am Hals verkrampfen. Achten Sie auf jede kleinste Veränderung, und Sie werden erfahren, wie der Sprecher zur Wahrheit steht.
Er sagte: »Ich brauche noch ein paar Informationen«, und wies mit einer Kopfbewegung nach oben.
»Ich habe Ihnen Informationen gegeben.«
»Ja, ich weiß.« Er ging zum Aufzug, und sie fuhren schweigend hinauf. Doch das Schweigen schien Nkata voller Spannung, einer Spannung allerdings, die mit der zwischen Mann und Frau, Bulle und Verdächtiger, ehemaliger Strafgefangener und möglichem Gefängniswärter nichts zu tun hatte.
»Sie war hier«, sagte Yasmin Edwards endlich. »Aber Sie glauben mir nicht, weil Sie mir nicht glauben dürfen. Denn wenn Sie rausgekriegt haben, wo Katja wohnt, dann haben Sie auch den Rest rausgekriegt, und wissen, dass ich gesessen habe, und für die Bullen ist jeder, der im Knast war, automatisch ein Lügner. Stimmt's nicht, Mann?«
Er stand schon vor ihrer Wohnungstür. Sie schob sich an ihm vorbei und versperrte ihm den Weg. »Fragen Sie sie, was sie gestern Abend getan hat«, sagte
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