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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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oder der Angeklagten zu überzeugen. So war es in Katja Wolffs Fall.«
    »Weil noch andere Zeugen sie belastet haben?«, fragte Libby.
    »Ganz recht.«
    »Wer?« Meine Stimme war schwach - ich hörte die Schwäche, ich verabscheute sie, und es gelang mir doch nicht, sie aus meinem Ton zu tilgen.
    »Die Polizeibeamten, die Katja Wolffs erste und einzige Aussage aufnahmen; der Gerichtspathologe, der die Obduktion durchführte; die Freundin, mit der die Wolff ihrer Behauptung zufolge nur eine Minute telefonierte hatte, während das Kind - Ihre Schwester - im Bad war; Ihre Mutter, Ihr Vater, Ihre Großeltern. Es geht in so einem Prozess weniger darum, einen Einzelnen zu finden, der den Angeklagten überführen kann, als vielmehr das Bild einer Situation zu zeichnen und den Geschworenen damit die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen. Jeder hat in diesem Prozess ein Steinchen zum Mosaik beigetragen. So zeigte sich uns am Ende das Bild einer jungen Deutschen, die sich in dem Ruhm sonnte, den sie sich durch die Aufsehen erregende Flucht aus ihrer ostdeutschen Heimat erworben hatte, die dank dem Wohlwollen einer Gruppe Nonnen die Möglichkeit erhielt, nach England auszuwandern, wo allerdings der Ruhm, der ihrem Selbstgefühl so gut getan hatte, rasch verblasste, und die schließlich eine Anstellung als Kinderfrau bei einem behinderten Kind übernahm, schwanger wurde, infolge der Schwangerschaft körperlich geschwächt war, mit dem Leben und ihrer Arbeit nicht mehr zurechtkam, ihre Stellung und daraufhin völlig die Kontrolle über sich verlor.«
    »Das klingt aber eher nach Totschlag als nach Mord«, stellte Libby fest.
    »Und wäre wahrscheinlich auch so bewertet worden, wäre sie bereit gewesen, eine Aussage zu machen. Aber das lehnte sie ab. Mit einer bemerkenswerten Arroganz, die aber nicht weiter verwunderlich war, wenn man bedenkt, woher das Mädchen kam. Natürlich machte sie dadurch alles noch schlimmer; sie weigerte sich ja nicht nur, mit der Polizei zu sprechen - nach dieser ersten Aussage, die sie gemacht hatte -, sondern sogar mit ihrem Verteidiger.«
    »Aber warum hat sie nicht geredet?«, fragte Libby.
    »Das kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass bei der Obduktion am Leichnam des Kindes ältere, bereits verheilte Frakturen festgestellt wurden, für die es keine Erklärung gab, Gideon, und die Tatsache, dass die Wolff es ablehnte, sich irgendwie zu äußern, nährte natürlich den Verdacht, dass sie von diesen alten Verletzungen wusste. Zwar wurden die Geschworenen - wie das damals Vorschrift war - angewiesen, das Schweigen der Angeklagten nicht gegen diese auszulegen, aber Geschworene sind auch nur Menschen. Ganz klar, dass so beharrliches Schweigen einer Angeklagten sie nicht unbeeinflusst lässt.«
    »Was ich also vor der Polizei aussagte -«
    Er winkte mit einer beschwichtigenden Geste ab. »Ich habe das Protokoll Ihrer Aussage damals gelesen und habe es noch einmal gelesen, als Sie mich angerufen hatten. Es war selbstverständlich Bestandteil der Klageschrift, aber niemals hätte ich allein auf Grund Ihrer Aussage Anklage erhoben.« Er lächelte. »Mein Gott, Sie waren damals acht Jahre alt, Gideon. Ich hatte einen gleichaltrigen Sohn und natürlich meine Erfahrungen mit Jungs dieses Alters. Ich musste die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Katja Wolff in den Tagen vor dem Tod Ihrer Schwester Sie vielleicht aus irgendeinem Grund ausgeschimpft und bestraft hatte und Sie sich vielleicht etwas ausgedacht hatten, um sich an ihr zu rächen, ohne sich klar zu machen, was Ihre Aussage bei der Polizei bedeuten würde.«
    »Da hast du's, Gideon«, sagte Libby.
    »Sie haben keinen Grund, sich an Katja Wolffs Schicksal schuldig zu fühlen«, sagte Cresswell-White. »Sie hat sich selbst weit mehr geschadet, als Sie ihr.«

20. Oktober
    War es also Rache, oder war es wirklich Erinnerung, Dr. Rose? Und wenn es Rache war - wofür? Soweit ich mich entsinnen kann, war Raphael der Einzige, der mich je bestrafte, und dann stets damit, dass er mich dazu verdonnerte, mir ein Musikstück anzuhören, das ich nicht gut genug gespielt hatte, und das war ja eigentlich keine richtige Strafe.
    War das Erzherzog-Trio eines der Stücke, die Sie sich anhören mussten?
    Ich kann mich nicht erinnern. Aber andere Stücke habe ich noch im Kopf: Lalo, Kompositionen von Saint-Saens und Bruch.
    Und haben Sie diese anderen Stücke schließlich gemeistert?, fragen Sie. Konnten Sie sie spielen, nachdem Sie sie sich

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