11 - Nie sollst Du vergessen
einem der Entwürfe wandern, aber dann zog er sie plötzlich zurück. Mit einem Seufzer sagte er:
»Nehmen Sie doch Platz, Inspector. Sie auch, Constable«, und kam zu ihnen. »Es ist in einer Situation wie der Gideons nicht nur wichtig, den Schein zu wahren, man muss auch so normal wie möglich weitermachen. Darum suche ich ihn weiterhin regelmäßig zu unseren täglichen Musikstunden auf, und wir hoffen, dass er mit der Zeit zu seinem Spiel zurückfinden wird.«
»Wir?« Nkata sah fragend auf.
»Richard Davies und ich. Gideons Vater.«
Irgendwo im Haus begann jemand ein Scherzo zu spielen. Ein Strom lebhafter Töne perlte von den Saiten eines Cembalos, so klang es zunächst, dann aber sprang das Timbre der Töne plötzlich um auf die dunklere Oboe, und gleich darauf klang es wie Flötentrillern durchs Haus. Zu gleicher Zeit steigerte sich die Klangfülle, und das rhythmische Dröhnen mehrerer Schlaginstrumente setzte ein.
Robson ging zur Tür, machte sie zu und sagte: »Entschuldigen Sie. Janet ist völlig fasziniert von dem elektronischen Keyboard. Es begeistert sie, was man mit einem Computerchip alles machen kann.«
»Und Sie?«, fragte Lynley.
»Ich habe nicht das Geld für ein Keyboard.«
»Ich meine eigentlich die Computerchips, Mr. Robson. Benutzen Sie diesen Computer? Er hat einen Telefonanschluss, wie ich sehe.«
Robsons Blick flog zu dem Gerät. Er ging durch das Zimmer, zog unter der Spanplatte, die von Böcken getragen als Arbeitstisch diente, einen Stuhl hervor und setzte sich. Lynley und Nkata nahmen sich zwei Klappstühle aus Metall, stellten sie so, dass sie mit Robsons Stuhl ein Dreieck vor dem Computer bildeten, und setzten sich ebenfalls.
»Den benutzen wir alle«, sagte Robson.
»Für Mails? Zum Chatten? Zum Surfen im Internet?«
»Ich benutze ihn hauptsächlich zum Mailen. Meine Schwester lebt in Los Angeles, mein Bruder in Birmingham und meine Eltern haben ein Haus an der Costa del Sol. Da ist das die einfachste Art, Kontakt zu halten.«
»Wie lautet die Adresse?«
»Warum?«
»Neugier«, antwortete Lynley.
Robson nannte ihm mit verwunderter Miene die Adresse, und Lynley hörte, was er beim Anblick des Computers vermutet hatte. Jete war Robsons OnlineName, also Teil seiner E-Mail-Adresse.
»Ich habe den Eindruck, es gab Probleme zwischen Ihnen und Mrs. Davies«, sagte er zu Robson. »Ihre Nachricht auf dem Anrufbeantworter klang sehr erregt, und die letzte E-Mail, die sie ihr geschickt haben, wirkte beinahe verzweifelt. Sie schrieben, Sie müssten sie unbedingt sehen. Hatte es zwischen Ihnen ein Zerwürfnis gegeben?«
Robson drehte sich auf seinem Schreibtischstuhl und starrte auf den leeren Bildschirm des Computers, als könnte er dort noch einmal seinen letzten Brief an Eugenie Davies lesen. Wie zu sich selbst sagte er: »Sie überprüfen natürlich jede Einzelheit. Das versteht sich.« Dann fuhr er in normalem Ton fort: »Wir waren ziemlich verstimmt auseinander gegangen. Ich hatte Dinge gesagt ...« Er zog ein Taschentuch heraus und drückte es an seine schweißfeuchte Stirn. »Ich wollte mich bei ihr entschuldigen. Schon als ich aus dem Lokal weg ging - und ich war wirklich wütend, das gebe ich gern zu -, hatte ich nicht etwa den Gedanken im Kopf, so, das war's jetzt, mit dieser Frau bin ich fertig, ein für allemal, sie ist ja völlig blind und uneinsichtig, ich will mit ihr nichts mehr zu tun haben. Mir ging etwas ganz Anderes durch den Kopf. Ich dachte, mein Gott, sie sieht so elend aus, sie ist dünner denn je, wieso will sie einfach nicht sehen, was das bedeutet.«
»Was denn?«, fragte Lynley.
»Dass sie die Entscheidung einzig mit dem Verstand getroffen hatte. Sie erschien ihr wahrscheinlich ganz vernünftig, aber ihr Körper rebellierte dagegen. Wahrscheinlich wollte ihre - ach, ich weiß auch nicht - ihre Seele ihr damit sagen, sie solle endlich Schluss machen und die Dinge nicht noch weiter treiben. Man konnte das innere Aufbegehren sehen. Glauben Sie mir, man konnte es wirklich sehen. Sie vernachlässigte sich. Aber das war es nicht allein. So hatte sie damals, vor Jahren, auch schon reagiert. Sie war früher eine schöne Frau, aber wenn man sie später sah, besonders in den letzten Jahren, hätte man nie geglaubt, dass sich früher die Männer auf der Straße nach ihr umdrehten.«
»Was für eine Entscheidung hatte sie denn getroffen, Mr. Robson?«
»Kommen Sie einen Augenblick mit«, sagte Robson, statt eine Antwort zu geben. »Ich möchte Ihnen etwas
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