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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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später um. Ich habe selbst entschieden, was es sein soll.«
    Sie strich mit einem Finger über Joeys gefaltete Schwingen, und er breitete sie aus, immer noch mit geschlossenen Augen.
    »Das war es, was mir an Katja gefallen hat. Sie hat ihre eigenen Entscheidungen getroffen, und das hat mir sehr imponiert. Wahrscheinlich, weil das in meiner Familie überhaupt nicht in Frage kam; da sind alle immer nur in die Gastronomie gegangen, ohne überhaupt daran zu denken, dass die Welt noch andere Möglichkeiten bietet, sein Leben zu gestalten. Katja war ein Mensch, der das Leben beim Schopf packte und versuchte, etwas daraus zu machen. Sie hat nicht einfach hingenommen, was ihr zufiel.«
    »Ah ja«, meinte ich zustimmend. »Die Flucht im Heißluftballon.«
    »Genau. Das ist ein hervorragendes Beispiel. Die Flucht im BalIon, und wie sie das Unternehmen organisiert hat.«
    »Aber den Ballon hatte nicht sie gebaut, so viel ich weiß, nicht wahr?«
    »Nein, nein. Das meinte ich auch nicht, als ich von ›organisieren‹ sprach. Ich meinte, wie sie Hannes Hertel dazu gebracht hat, sie mitzunehmen. Sie hat ihn tatsächlich erpresst, wenn das, was sie mir erzählt hat, zutrifft, und ich glaube es ihr, denn warum sollte sie lügen? Das ist doch nun wirklich nichts Schmeichelhaftes. Aber so unschön ihre Methoden waren, ich finde, es war ungeheuer mutig von ihr, zu ihm zu gehen und ihm zu drohen. Er war ein großer, kräftiger Kerl, so um die eins achtzig, eins neunzig, nach dem, was sie mir erzählt hat, und er hätte ihr leicht etwas antun können. Er hätte sie sogar umbringen können, würde ich mal sagen, und dann über die Mauer verschwinden können. Es war von ihrer Seite aus ein kalkuliertes Risiko, und sie ist es eingegangen. So einen unbändigen Lebenswillen hatte sie.«
    »Womit hat sie ihn erpresst?«
    »Womit sie ihm gedroht hat, meinen Sie?« Katie bearbeitete jetzt Joeys anderen Flügel, den er so bereitwillig ausgebreitet hatte wie den ersten. Der grüne Wellensittich im Inneren des Käfigs war auf seiner Stange näher gehüpft und beobachtete die Massage mit starrem Blick. »Sie drohte ihm, ihn anzuzeigen, wenn er sie nicht mitnähme.«
    »Diese Geschichte ist nie herausgekommen, nicht wahr?«, sagte ich.
    »Nein, ich glaube, ich bin der einzige Mensch, dem sie das je erzählt hat, und sie weiß wahrscheinlich gar nicht, dass sie es getan hat. Wir hatten beide was getrunken, und wenn Katja betrunken war - was wirklich nur höchst selten vorkam -, neigte sie dazu, Dinge zu sagen oder zu tun, an die sie sich vierundzwanzig Stunden später nicht mehr erinnern konnte. Ich habe sie nie auf diese Sache mit Hannes angesprochen, aber ich habe sie deswegen bewundert, weil es zeigte, wie weit sie zu gehen bereit war, um das zu bekommen, was sie wollte. Und da ich ja auch ziemlich weit gehen musste« - sie umfing mit einer Handbewegung ihr Arbeitszimmer und das ganze Institut, fern der gastronomischen Familientradition - »machte uns das in gewisser Weise zu geistigen Schwestern.«
    »Sie lebten damals auch im Kloster der Unbefleckten Empfängnis?«
    »Guter Gott, nein. Katja war dort untergekommen. Sie arbeitete bei den Nonnen, in der Küche, glaube ich, um für ihr Zimmer zu bezahlen, während sie Englischunterricht nahm. Ich wohnte in dem Studentenheim hinter dem Kloster, am anderen Ende des Geländes. Es lag direkt an der U-Bahn, und Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, was da für ein Lärm war. Aber die Miete war billig und die Lage gut, Schulen und Colleges in der Nähe. Damals wohnten dort mehrere hundert Studenten, und die meisten von uns hatten natürlich von Katja gehört.« Sie lächelte. »Und hätten wir nicht von ihr gehört gehabt, so wäre sie uns auf jeden Fall früher oder später aufgefallen. Was diese Frau mit einem Pulli, einer langen Hose und ein paar Schals anstellen konnte, war toll. Sie war unheimlich kreativ in dieser Richtung. Das wollte sie übrigens irgendwann auch beruflich machen: Mode. Und sie hätte es sicher geschafft, wenn die Geschichte damals nicht so böse ausgegangen wäre für sie.«
    Genau dahin wollte ich: zum bösen Ausgang, den die Dinge für Katja Wolff genommen hatten, und zu der Frage, wie es soweit gekommen war.
    »Sie hatte gar nicht die Voraussetzungen zur Betreuung meiner Schwester, nicht wahr?«, fragte ich.
    Katie streichelte jetzt die Schwanzfedern des Vogels, und er breitete sie so bereitwillig aus wie vorher seine Flügel, die er immer noch nicht wieder gefaltet

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