11 - Nie sollst Du vergessen
ruhig eine.«
»Was?«, fragte sie.
»Eine Zigarette. Rauchen Sie eine. Sie haben es verdient. Ich werd's überstehen.« Er drückte sogar den Zigarettenanzünder des Bentley ein und reichte ihn ihr, als er heraussprang. »Genießen Sie sie«, sagte er. »So bald erleben Sie das nicht wieder.«
»Das will ich hoffen«, antwortete Barbara brummig.
»Ich sprach eigentlich vom Rauchen in meinem Wagen.«
»Ah ja. Ich nicht.« Sie kramte ihre Players heraus und zündete sich eine an. Während sie den Rauch tief inhalierte, dankte sie im Stillen ihrem Chef, dass er ausnahmsweise einmal Toleranz für ihre Schwäche zeigte. Langsam krochen sie die Hauptstraße entlang, und Lynley sah auf seine Taschenuhr. Er reichte Barbara sein Handy und sagte: »Rufen Sie St. James an und bitten Sie ihn, den Computer bereit zu halten.«
Barbara wollte der Aufforderung gerade nachkommen, als das Handy in ihrer Hand klingelte. Sie drückte auf den Knopf, und Lynley bedeutete ihr mit einem Nicken, dass sie den Anruf entgegennehmen solle.
»Havers«, sagte sie deshalb.
»Constable?«, brüllte Leach ihr ins Ohr. »Wo, zur Hölle, sind Sie?«
»Auf dem Weg, den Computer zu holen, Sir«, antwortete sie und flüsterte, die Hand auf dem Mikrofon, zu Lynley gewandt:
»Leach. Schon wieder total ausgeflippt.«
»Vergessen Sie den Computer«, bellte Leach. »Fahren Sie rüber zur Portman Street. Zwischen Oxford Street und Portman Square. Sie werden die Sauerei sehen, wenn Sie hinkommen.«
»Portman Street?«, sagte Barbara. »Aber Sir, wollten Sie denn nicht -«
»Hören Sie schlecht?«
»Ich -«
»Es ist wieder jemand angefahren worden«, schnauzte Leach.
»Was?! Wer denn?«, rief Barbara.
»Richard Davies. Aber diesmal gibt's Zeugen. Und ich möchte, dass Sie und Lynley da drüben antanzen und die Leute durch die Mangel drehen, bevor sie verschwinden.«
GIDEON
10. November
Es bleibt nur noch die Konfrontation. Er hat mich belogen. Fast mein Leben lang hat mein Vater mich belogen. Nicht mit Worten, sondern mit dem, was er mich glauben ließ, indem er zwanzig Jahre lang schwieg: dass wir - er und ich - die Opfer gewesen wären, als meine Mutter uns verließ. Aber in Wahrheit hat sie uns verlassen, weil sie erkannte, warum Katja meine Schwester ermordet hatte und warum sie über ihre Tat Stillschweigen bewahrte.
11. November
Und so hat es sich abgespielt, Dr. Rose. Keine Erinnerungen mehr, wenn Sie mir das verzeihen wollen, keine Reisen in die Vergangenheit. Nur dies:
Ich habe ihn angerufen. Ich sagte: »Ich weiß, warum Sonia gestorben ist. Ich weiß, warum Katja geschwiegen hat. Du bist ein Schwein, Dad.«
Er sagte nichts.
Ich sagte: »Ich weiß, warum meine Mutter uns verlassen hat. Ich weiß, was geschehen ist. Hörst du mich? Sag etwas, Dad. Es ist Zeit für die Wahrheit. Ich weiß, was geschehen ist.«
Im Hintergrund hörte ich Jills Stimme. Ich hörte ihre Frage, und sowohl der Ton als auch die Art, wie sie fragte - »Richard? Schatz, wer, um Gottes willen, ist das?« -, verrieten mir etwas über die Reaktion meines Vaters auf meine Worte. Ich war darum nicht überrascht, als er schroff sagte: »Ich komme jetzt rüber. Geh nicht aus dem Haus.«
Wie er es anstellte, so schnell hier zu sein, weiß ich nicht. Aber als er ins Haus trat und entschlossenen Schritts die Treppe hinaufeiite, kam es mir vor, als wären nur Minuten vergangen, seit ich nach unserem Gespräch den Hörer aufgelegt hatte.
Aber in diesen Minuten hatte ich sie beide vor mir gesehen: Katja Wolff, die das Leben zu meistern suchte, die sich einer Drohung bediente, um aus Ostdeutschland herauszukommen; und meinen Vater, der sie geschwängert hatte, vielleicht in der Hoffnung, zum Aufbau eines Geschlechts, das mit ihm begann, ein vollkommenes Kind zu produzieren. Es war schließlich seine Gewohnheit, Frauen, die keine gesunden Nachkommen hervorbrachten, fallen zu lassen. So hatte er es mit seiner ersten Frau gemacht, und so hatte er es wahrscheinlich mit meiner Mutter vorgehabt. Aber Katja ging es nicht schnell genug, Katja, Katja, Katja, die das Leben anpacken wollte und nicht abwarten, was es ihr geben würde.
Es gab Streit zwischen ihnen.
»Wann sagst du es ihr, Richard?«
»Wenn die Zeit reif ist.«
»Aber wir haben keine Zeit! Du weißt, dass wir keine Zeit haben.«
»Katja, benimm dich nicht wie eine hysterische Gans.«
Und als dann der Augenblick kam, wo er hätte Stellung beziehen können, sagte er kein Wort zu ihrer Verteidigung oder
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