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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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alles wie eine fortlaufende Szene - wie die Musik selbst. Die Musik war der Hintergrund, und die Tat, die zum Hintergrund dieser Musik gehörte, war das, was ich verdrängt hatte.
    Ich bin in meinem Zimmer. Raphael ist schlecht gelaunt wie nie zuvor. Schon seit Tagen ist er schlecht gelaunt, nervös, ungeduldig und leicht reizbar. Ich selbst bin trotzig und widerspenstig. Man hat mir den Besuch an der Juilliard verwehrt. Es ist nur eine unter den vielen Unmöglichkeiten, von denen ich in letzter Zeit ständig zu hören bekomme. Dies ist nicht möglich, und jenes ist nicht möglich, treten wir hier ein wenig kürzer, schnallen wir dort den Gürtel etwas enger, kalkulieren wir dieses ein, bedenken wir jenes.
    Aber denen werde ich es zeigen. Ich werde einfach nicht mehr auf dieser blöden Geige spielen. Ich werde keinen Strich mehr üben. Ich werde keine Stunden nehmen. Ich werde nicht auftreten, auch nicht im privaten Kreis. Denen werde ich es zeigen.
    Raphael führt mich energisch in mein Zimmer. Er legt das Erzherzog-Trio auf und sagt: »Ich verliere langsam die Geduld mit dir, Gideon. Dieses Stück ist nicht schwierig. Du hörst dir jetzt den ersten Satz an, bis du ihn im Schlaf summen kannst.«
    Dann lässt er mich allein und macht die Tür hinter sich zu. Das Allegro Moderato setzt ein.
    Ich schreie: »Ich tu's aber nicht, ich tu's nicht, ich tu's nicht!«
    Und ich stoße einen Tisch um, trete mit dem Fuß gegen einen Sessel, werfe mich mit meinem ganzen Körper gegen die Tür.
    »Ihr könnt mich nicht zwingen!«, schreie ich. »Ihr könnt mich zu nichts zwingen.«
    Und die Musik schwillt an. Das Klavier führt die Melodie ein. Man wartet gespannt auf die Geige und das Cello. Meine Partie ist nicht schwer zu lernen, nicht für jemanden mit einer natürlichen Begabung wie mich. Aber wozu es überhaupt lernen, wenn ich nicht an die Juilliard School of Music darf? Perlman war dort. Er war als Junge dort. Aber ich werde nicht dorthin kommen. Und das ist ungerecht. Das ist gemein und ungerecht. Alles in meinem Leben ist ungerecht. Ich lasse mir das nicht gefallen. Ich akzeptiere das nicht.
    Und die Musik schwillt an.
    Ich reiße meine Zimmertür auf und schreie: »Nein!« und »Ich tu's nicht« in den Korridor hinaus. Ich warte darauf, dass jemand kommen, mich irgendwohin mitnehmen und bestrafen wird. Aber es kommt niemand. Sie sind alle mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt, die meinen interessieren sie nicht. Das macht mich wütend, denn es ist ja mein Leben, das betroffen ist. Mein Leben wird hier geformt. Meine Wünsche werden ignoriert. Am liebsten würde ich mit der Faust gegen die Wand donnern.
    Und die Musik schwillt an. Und die Geige jubelt. Und ich werde dieses Stück weder an der Juilliard noch sonst wo spielen, weil ich hier bleiben muss. In diesem Haus, in dem wir alle Gefangene sind. Ihretwegen.
    Der Türknauf ist in meiner Hand, bevor ich mich versehe, und die Tür öffnet sich vor mir. Ich werde hineinspringen und sie richtig erschrecken. Sie soll weinen. Sie soll bezahlen. Sie sollen alle bezahlen.
    Sie erschrickt nicht. Aber sie ist allein. Allein in der Wanne mit den gelben Gummienten rund herum und einem knallroten Boot, auf das sie vergnügt mit der Faust einschlägt. Sie verdient einen richtigen Schrecken. Sie verdient es, einmal kräftig untergetaucht zu werden, damit sie begreift, was sie mir die ganze Zeit antut. Und ich packe sie und drücke sie unter Wasser. Ich sehe, wie sie die Augen aufreißt, immer weiter, immer größer, und ich spüre, wie sie kämpft, um wieder hoch zu kommen.
    Und die Musik - diese Musik - schwillt immer noch an. Hört nicht auf. Minutenlang nicht. Tagelang nicht.
    Plötzlich ist Katja da. Sie schreit meinen Namen. Raphael ist direkt hinter ihr, ja, jetzt verstehe ich alles: Sie waren draußen und haben miteinander geredet, die zwei, darum war Sonia allein, und er hat zu wissen verlangt, ob an Sarah-Janes Getuschel etwas Wahres ist. Denn er habe ein Recht, es zu wissen, sagt er. Er sagt es, als er unmittelbar hinter Katja ins Badezimmer tritt. Ja, das sagt er, als er eintritt, und sie schreit. Er sagt: »... denn wenn es wahr ist, dann ist es meines, das weißt du. Und ich habe das Recht -«
    Und die Musik schwillt an.
    Und Katja schreit, schreit nach meinem Vater, und Raphael ruft, »O mein Gott, mein Gott«, aber ich lasse sie nicht los. Nicht einmal jetzt lasse ich sie los, weil ich weiß, dass mit ihr das Ende meiner Welt begann.

24
    Jill rannte in ihr

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