11 - Nie sollst Du vergessen
ihren Trakt versetzt wurde - das war später -, begannen wir miteinander zu reden. Sie nahm den Kontakt als Erste auf, was mich sehr überraschte. Sie sagte: ›Warum beobachten Sie mich?‹, daran erinnere ich mich. Und an das, was folgte, erinnere ich mich auch.«
»Sie hält alle Trümpfe in der Hand, Miss McKay«, sagte Nkata.
»Es geht hier nicht um Erpressung, Constable. Katja könnte mich vernichten, aber ich weiß, sie wird es nicht tun.«
»Woher wissen Sie das?«
»Es gibt Dinge, die weiß man einfach.«
»Wir sprechen von einer ehemaligen Gefängnisinsassin.«
»Wir sprechen von Katja.«
Noreen McKay trat von der Straßenlampe weg und ging in Richtung Ampel, um die Straße zu überqueren und ins Gefängnis zurückzukehren. Nkata ging mit ihr. Sie sagte: »Ich wusste schon sehr früh, was ich bin. Ich nehme an, meine Eltern wussten es auch, wenn ich Verkleiden spielte und mich als Soldat, Pirat oder Feuerwehrmann präsentierte. Nie als Prinzessin oder Krankenschwester oder feine Dame. Und das ist ja nicht normal, nicht? Aber mit fünfzehn will man unter allen Umständen normal sein. Also versuchte ich es mit jedem Mittel: Miniröcke, hochhackige Schuhe, tiefe Ausschnitte, was eben so dazugehört. Ich versuchte mein Glück bei den Jungs und trieb es mit jedem, den ich ergattern konnte. Bis ich eines Tages in der Zeitung eine Annonce entdeckte, wo Frauen Kontakt zu Frauen suchten, und die Nummer anrief. Nur aus Jux, sagte ich mir. Wir trafen uns in einem Fitnessstudio, schwammen ein bisschen im Pool, sind dann zusammen Kaffee trinken gegangen und danach zu ihr. Sie war vierundzwanzig. Ich war neunzehn. Wir waren fünf Jahre zusammen, bis ich im Vollzug zu arbeiten anfing. Danach - ich konnte so ein Leben nicht mehr führen. Ich empfand es als zu großes Risiko. Und dann bekam meine Schwester die Hodgkinsche Krankheit, und ich nahm die Kinder zu mir, und lange Zeit war das genug.«
»Bis Katja Wolff kam.«
»Ich habe mit Dutzenden von Männern geschlafen, aber geliebt habe ich nur zwei Menschen, und das waren Frauen, Eine von ihnen ist Katja.«
»Wie lange geht das schon?«
»Siebzehn Jahre. Mit Unterbrechungen.«
»Und wollen Sie ewig so weitermachen?«
»Sie meinen, mit Yasmin zwischen uns?« Sie warf Nkata einen Blick zu und schien seinem Schweigen die Antwort zu entnehmen. »Wenn man behauptet, dass wir in der Liebe wählen, dann habe ich Katja aus zwei Gründen gewählt. Sie hat nie darüber gesprochen, was sie ins Gefängnis gebracht hatte, daher wusste ich, dass sie schweigen konnte. Und sie hatte ein großes Geheimnis. Ich dachte damals, es sei ein Geliebter oder eine Geliebte außerhalb des Gefängnisses. Also kann ich mich gefahrlos auf sie einlassen, sagte ich mir, denn nach ihrer Entlassung wird sie zu ihm oder zu ihr zurückgehen, und ich habe meine Wünsche mit ihr ausleben können. Und dann kann ich gut wie eine Nonne leben, ohne das Gefühl haben zu müssen, ich hätte im Leben etwas versäumt ...«
Die Ampel an der Parkhurst Road schaltete auf Grün. Noreen McKay trat vom Bürgersteig herab. Dann blickte sie noch einmal zurück, um eine letzte Bemerkung zu machen. »Es sind siebzehn Jahre, Constable. Sie ist die Einzige unter den Frauen im Gefängnis, die ich je angerührt habe. Sie ist die einzige Frau, die ich dort je geliebt habe.«
»Warum?«, fragte er, als sie sich anschickte, die Straße zu überqueren.
»Weil von ihr keine Gefahr ausgeht«, antwortete Noreen McKay. »Und weil sie stark ist. Niemand kann Katja Wolff zerbrechen.«
»Gottverdammter Mist. Das ist echt toll«, brummte Barbara Havers in sich hinein. Sie begann gerade, sich der Gefahr ihrer Situation bewusst zu werden: Erst vor zwei Monaten wegen Insubordination und tätlichen Angriffs auf einen Vorgesetzten degradiert, konnte sie sich ein weiteres Schlagloch auf ihrer holprigen Berufslaufbahn nicht leisten. »Wenn Leach das mit dem Computer an Hillier weitergibt, sind wir erledigt, Inspector. Das ist Ihnen wohl klar?«
»Wir sind nur erledigt, wenn sich in diesem Computer etwas findet, was für die Ermittlungen wichtig ist«, erwiderte Lynley, während er den Bentley am Rosslyn Hill in den dichten abendlichen Verkehr lenkte. »Und das ist nicht der Fall, Havers.«
Seine unerschütterliche Ruhe reizte sie. Sie waren mit solch einem Tempo zu seinem Wagen marschiert, nachdem sie Leachs Büro verlassen hatten, dass sie nicht dazu gekommen war, eine zu rauchen, und sie gierte nach einer Dosis Tabak zur
Weitere Kostenlose Bücher