Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Libby an jenem ersten Tag. Wir standen draußen vor der Haustür, sie zog die Reißverschlüsse ihrer Lederkluft zu und wollte gerade ihren Helm aufsetzen, als sie die leere Wohnung unten sah.
    »Wau!«, rief sie. »Ist die zu vermieten?«
    Ich erklärte ihr, dass ich die Wohnung absichtlich leer stehen ließ; dass sie an ein junges Paar vermietet gewesen sei, als ich das Haus gekauft hatte, die beiden aber sehr schnell ausgezogen seien, weil sie sich für Geigenspiel zu jeder Tages- und Nachtzeit nicht begeistern konnten.
    Sie neigte den Kopf zur Seite und sagte: »Hey, wie alt sind Sie eigentlich? Reden Sie immer so hochgestochen? Als Sie mir vorhin die Drachen gezeigt haben, haben Sie sich total normal angehört. Also, wie kommt das? Gehört das dazu, wenn man Engländer ist? Sobald man aus dem Haus geht, wird man Henry James?«
    »Der war kein Engländer«, sagte ich.
    »Ach! Tut mir Leid.« Sie wollte den Riemen ihres Helms zuziehen, schaffte es aber nicht. Sie wirkte nervös. »Ich habe mich auf der Highschool gerade mal so durchgemogelt, wissen Sie, da können Sie von mir nicht verlangen, dass ich Henry James von Sid Vicious unterscheiden kann, Kumpel. Ich weiß nicht mal, warum er mir überhaupt in den Kopf gekommen ist. Oder Sid Vicious.«
    »Wer ist Sid Vicious?«, fragte ich mit ernster Miene.
    Sie starrte mich an. »Jetzt hören Sie aber auf! Das soll wohl ein Witz sein?«
    »Ja«, antwortete ich.
    Da lachte sie. Naja, nicht richtig, es war eher ein Wiehern. Und sie packte mich beim Arm und sagte auf eine so unglaublich vertrauliche Art: »Mensch, du!«, dass ich gleichzeitig verblüfft und entwaffnet war. Und da habe ich angeboten, ihr die untere Wohnung zu zeigen.
    Warum?, fragen Sie.
    Weil sie sich nach der Wohnung erkundigt hatte und ich sie ihr zeigen wollte, und wahrscheinlich auch, weil ich sie eine Weile um mich haben wollte. Sie war so völlig unenglisch.
    Sie sagen: Ich meinte nicht, warum Sie ihr die Wohnung zeigten, Gideon, ich meinte, warum erzählen Sie mir von Libby.
    Weil sie gerade hier war.
    Sie ist wichtig, nicht wahr?
    »Ich weiß es nicht.«

3. September
    »Mein richtiger Name ist Liberty«, sagt sie. »Ist das nicht absolut das Letzte? Meine Eltern waren Hippies, bevor sie Yuppies wurden, also lange bevor mein Dad in Silicon Valley ungefähr eine Billion Dollar machte. Von Silicon Valley wirst du ja wohl schon mal gehört haben, oder?«
    Wir stapfen den Primrose Hill hinauf. Es ist ein Spätnachmittag im vergangenen Jahr. Ich trage einen meiner Drachen. Libby hat mich überredet, mit ihr zum Drachensteigen zu gehen. Eigentlich müsste ich üben. Ich soll in knapp drei Wochen mit den Philharmonikern das zweite Violinkonzert von Paganini einspielen, und das Allegro maestoso bereitet mir einige Schwierigkeiten. Aber Libby ist gerade von einer Auseinandersetzung mit dem fürchterlichen Rock zurückgekehrt, der wieder einmal ihren Lohn einbehalten hat. »Und weißt du, was das Arschloch gesagt hat, als ich mein Geld verlangt hab«, berichtet sie mir. »›Mach 'ne Fliege, Maus‹, hat er gesagt. Und das machen wir jetzt, Gideon, komm. Wir machen die große Fliege mit einem deiner Drachen. Du arbeitest sowieso zu viel.«
    Ich bin einverstanden. Ich habe bereits sechs Stunden Arbeit hinter mir, mit nur einer kurzen Unterbrechung gegen Mittag für einen Spaziergang im Regent's Park. Ich lasse sie den Drachen aussuchen, den wir mitnehmen wollen, und sie wählt ein Kastenmodell, das kreiseln kann und genau die richtige Windgeschwindigkeit braucht, um zu zeigen, was es kann.
    Wir machen uns auf den Weg, folgen dem Bogen der Chalcot Crescent - sanierte Häuser, von Libby, der London im Verfall anscheinend besser gefällt als in Erneuerung, mit abwertenden Bemerkungen bedacht - und laufen über die Regent's Park Road in den Park, wo es zum Primrose Hill hinaufgeht.
    »Der Wind ist zu stark«, sage ich und muss schreien, weil der Wind den Drachen packt und das Nylongewebe knallend gegen meinen Körper schlägt. »Für den hier braucht man ideale Bedingungen. Er wird wahrscheinlich nicht einmal abheben.«
    Genauso ist es, sehr zu ihrer Enttäuschung, wo sie doch gehofft hatte, es dem »blöden Rock mit der großen Drachenfliege mal richtig zu zeigen. Der Typ ist so fies. Er droht mir echt damit, dass er den zuständigen Leuten« - eine vage Handbewegung in Richtung Westminster - »erzählen will, dass wir in Wirklichkeit überhaupt nicht verheiratet wären. Ich mein, nicht richtig, mit vollzogener

Weitere Kostenlose Bücher