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11 - Nie sollst Du vergessen

11 - Nie sollst Du vergessen

Titel: 11 - Nie sollst Du vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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noch mehr freute es mich, dass ich mit meiner Einschätzung ihrer Lernfähigkeit Recht gehabt hatte. Ich denke, das war der Grund, weshalb ich sie zum Morgenkaffee einlud. Es war ein schöner Tag, und wir tranken den Kaffee im Garten, wo ich am vorhergegangenen Nachmittag in der Laube an einem meiner Drachen gebastelt hatte.
    Von den Drachen habe ich bisher nichts erzählt, nicht wahr, Dr. Rose? Nun, eigentlich gibt es dazu auch nichts weiter zu sagen. Drachenbauen ist einfach etwas, womit ich mich beschäftige, wenn ich das Gefühl habe, eine Pause von der Musik zu brauchen. Ich lasse sie auf dem Primrose Hill steigen.
    Natürlich, Sie suchen gleich wieder nach einer tieferen Bedeutung, nicht wahr? Was bedeutet es für die Biografie und die gegenwärtige Lebenssituation des Patienten, dass er Drachen baut und steigen lässt? Das Unbewusste äußert sich in allen unseren Handlungen. Wir brauchen mit unserem Bewusstsein nur die Bedeutung dieser Handlungen zu erfassen und in verständliche Form zu bringen.
    Drachen. Luft. Wind. Freiheit. Aber Freiheit wovon? Was für eine Freiheit brauche ich, da doch mein Leben reich und voll und rund ist?
    Soll ich das Knäuel, das Sie aufzurollen suchen, noch ein wenig mehr verwirren? Ich bin nicht nur Drachenbauer, ich bin auch Segelflieger. Sie kennen diesen Sport: Man lässt sich in einem Flugzeug ohne Motor von einer Motormaschine hochziehen, klinkt dann aus und navigiert allein auf den Luftströmungen.
    Mein Vater findet dieses Hobby ganz besonders beängstigend. Es hat zwischen uns zu solch heftigen Auseinandersetzungen geführt, dass wir nicht mehr darüber sprechen. Als ihm endlich klar wurde, dass er keinen Einfluss mehr darauf hat, was ich mit den wenigen Mußestunden anfange, die mir bleiben, schrie er wütend: »Ich will nichts mehr von dir wissen, Gideon!« Und von da an war das Thema zwischen uns tabu.
    Es ist aber doch auch ein ziemlich gefährlicher Sport, sagen Sie.
    Nicht gefährlicher als das Leben, antworte ich darauf.
    Und dann fragen Sie: Was gefällt Ihnen am Segelfliegen? Die Stille? Die Beherrschung einer Kunst, die mit dem Beruf, den Sie sich erwählt haben, so gar nichts zu tun hat? Ist es eine Art der Flucht, Gideon, oder reizt Sie vielleicht das Risiko?
    Da kann ich nur sagen, es ist gefährlich, zu tief zu schürfen, wenn etwas so leicht zu erklären ist: Als Kind durfte ich, nachdem meine Begabung sich gezeigt hatte, nichts tun, was meine Hände irgendwie gefährdet hätte. Drachen steigen lassen und Segelfliegen - da sind meine Hände vor Verletzung sicher.
    Aber Sie sehen doch die Bedeutung solcher Tätigkeiten, Gideon, das Himmelstrebende daran?
    Ich sehe nur, dass der Himmel blau ist. Blau wie die Tür. Wie diese blaue, blaue Tür.

GIDEON
28. August
    Ich habe getan, was Sie vorgeschlagen haben, Dr. Rose, und kann nicht mehr dazu sagen, als dass ich mir wie ein kompletter Idiot vorkam. Vielleicht wäre das Experiment anders ausgegangen, wenn ich es, wie Sie wünschten, bei Ihnen in der Praxis vorgenommen hätte, aber es erschien mir einfach zu absurd. Absurder noch, als Stunden über diesem Tagebuch zu sitzen, anstatt auf meiner Geige zu üben, wie ich das gewöhnt bin und so gern tun würde.
    Aber ich habe sie noch immer nicht angerührt.
    Warum nicht?
    Was soll die Frage, Dr. Rose? Sie wissen es doch. Sie ist weg. Die Musik ist weg. Verstehen Sie das denn nicht? Verstehen Sie nicht, was das bedeutet?
    Heute Morgen war mein Vater hier. Er ist eben erst wieder gegangen. Er kam vorbei, um zu sehen, ob es mir besser geht - mit anderen Worten, ob ich versucht habe zu spielen. Er war immerhin so rücksichtsvoll, mich nicht direkt zu fragen. Aber er brauchte auch gar nicht zu fragen, die Guarneri lag noch genau so da, wie er sie hingelegt hatte, als er mich aus der Wigmore Hall nach Hause brachte. Ich habe noch nicht einmal den Nerv, den Kasten anzurühren.
    Warum nicht?, fragen Sie wieder.
    Und ich sage wieder, Sie wissen es doch. Weil mir im Moment aller Mut fehlt. Wenn ich nicht mehr spielen kann, wenn die Gabe, das Ohr, das Talent, das Genie, wie immer Sie es nennen wollen, auf den Tod krank oder mir ganz genommen ist, wie soll ich dann existieren? Nicht, wie soll ich weitermachen, Dr. Rose, sondern wie soll ich existieren! Wie soll ich existieren, wenn doch alles, was ich bin, von meiner Musik umfasst und durch sie definiert ist?
    Dann sollten wir uns vielleicht die Musik einmal genauer ansehen, sagen Sie. Wenn jeder Mensch in Ihrem Leben auf

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