11 - Nie sollst Du vergessen
Qualitäten wahrnehmen - zu denen modisches Bewusstsein entschieden nicht gehörte - und ihnen samt und sonders seine Anerkennung schenken. Er würde sie auf der Stelle wieder in ihren früheren Rang hinaufstufen und damit die Strafe löschen, die er am Ende des Sommers über sie verhängt hatte.
Aber dies war keine bessere Welt, und Hillier tat nichts dergleichen. Er sagte nur: »Es ist möglich, dass er es nicht schafft. Wir tun so, als stünde das außer Frage - besonders vor seiner Frau -, aber man muss der Möglichkeit natürlich ins Auge sehen.«
Barbara, die nicht wusste, was sie darauf sagen sollte, murmelte:
»Ach, verdammt«, weil sie sich so fühlte, zur Hilflosigkeit und, zusammen mit dem Rest der Menschheit, zu endlosem Warten verdammt.
»Ich kenne ihn seit einer Ewigkeit«, sagte Hillier. »Es gab Zeiten, da konnte ich ihn überhaupt nicht leiden, und verstanden habe ich ihn nie. Aber er war immer da, eine vertraute Gestalt, bei der ich mich irgendwie darauf verlassen konnte, dass er - nun, dass er einfach da sein würde. Und der Gedanke, dass er nun vielleicht geht, ist mir gar nicht recht.«
»Vielleicht bleibt er ja«, sagte Barbara. »Vielleicht wird er wieder gesund.«
Hillier warf ihr einen kurzen Blick zu. »Nach so etwas wird man nicht wieder gesund. Er wird vielleicht am Leben bleiben. Aber gesund werden? Nein. Er wird nie mehr der Alte sein. Er wird nicht gesund werden.« Er schlug ein Bein über das andere, und zum ersten Mal nahm Barbara von seiner Kleidung Notiz, die er, in der Nacht zuvor hastig angezogen, seither offensichtlich nicht gewechselt hatte. Ausnahmsweise sah sie ihn nicht als Vorgesetzten, sondern als Mensch: Tweed und Hahnentritt und ein Pulli mit einem Loch im Ärmel. Hillier sagte: »Leach hat mir erzählt, dass der Mann das alles nur getan hat, um falsche Spuren zu legen.«
»Ja, das jedenfalls glauben Inspector Lynley und ich.«
»So ein Irrsinn.« Und dann sah er sie mit zusammengekniffenen Augen an. »Was anderes steckt nicht dahinter?«
»Wie meinen Sie das?«
»Es gibt keinen anderen Grund für den Anschlag auf Malcolm?«
Sie erwiderte ruhig seinen Blick und las die Frage darin, die Frage, ob das, was Assistant Commissioner Hillier über die Webberlys und ihre Ehe vermutete, glaubte oder glauben wollte, richtig war. Barbara hatte nicht die Absicht, dem Assistant Commissioner diesbezüglich irgendeine Information zu liefern. Sie antwortete:
»Nein, es gibt keinen anderen Grund. Es war einfach so, dass der Superintendent für Davies leicht ausfindig zu machen war.«
»Das ist Ihre Vermutung«, stellte Hillier fest. »Leach hat mir erzählt, dass Richard Davies nicht redet.«
»Ich denke, er wird schon noch reden«, meinte Barbara. »Er weiß doch besser als die meisten, wohin es hinführen kann, wenn man den Mund nicht aufmacht.«
»Ich habe Lynley zum stellvertretenden Superintendent ernannt, bis diese Geschichte geklärt ist«, sagte Hillier. »Das wissen Sie, nicht wahr?«
»Dee Harriman hat uns informiert.« Barbara holte Luft und hielt sie an, während sie all ihr Hoffen, Wünschen und Träumen auf das richtete, was dann nicht geschah.
Hillier sagte lediglich: »Winston Nkata macht seine Sache insgesamt gesehen recht gut.«
Was heißt hier, insgesamt gesehen?, fragte sie sich, sagte aber:
»Ja, Sir. Er ist wirklich gut.«
»Ich denke, er kann mit einer baldigen Beförderung rechnen.«
»Da wird er sich freuen, Sir.«
»Ja, das denke ich auch.« Hillier sah sie lange an, dann schaute er weg. Die Augen fielen ihm zu, und sein Kopf sank zurück an die Sofalehne.
Barbara saß stumm da und überlegte, was jetzt von ihr erwartet wurde. Schließlich sagte sie: »Sie sollten nach Hause fahren und sich ausruhen, Sir.«
»Das habe ich vor«, antwortete Hillier. »Das sollten wir alle tun, Constable.«
Es war halb elf Uhr abends, als Lynley seinen Wagen in der Lawrence Street abstellte und das Stück Weg zum Haus der St. James zu Fuß ging. Er hatte sich bei seinen Freunden nicht angemeldet und auf der Fahrt von der Earl's Court Road hierher beschlossen, sie nicht zu stören, sollte bei seiner Ankunft im Haus kein Licht mehr brennen. Er wusste, dass hinter dieser Entscheidung hauptsächlich Feigheit steckte. Es wurde höchste Zeit, sich den Sünden und Versäumnissen der Vergangenheit zu stellen und endlich reinen Tisch zu machen, und vor diesem Schritt scheute er zurück. Dabei spürte er, wie seine Vergangenheit wie ein schleichendes Gift in die
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