1100 - Die Hölle von Sodom
intensiv damit beschäftigt. Wer hier mit ihm auf der Insel zusammenlebte, der kam nicht mehr weg. Es sei denn, er wollte es. Allerdings war es einem Menschen tatsächlich gelungen, zu fliehen, und das konnte möglicherweise zu Problemen führen, über die sich der Grieche keine weiteren Gedanken machte. Er fühlte sich stark genug, sie zu lösen.
Seine kräftige Hand umfaßte den mit Wein gefüllten Kelch. Er trank und lächelte. In seinen dunklen Augen tanzten kleine Funken, denn er freute sich auf den folgenden Tag. Da würde die Person auf seiner Insel sein, auf die er so lange gewartet hatte. Sie war der größte Teil seiner Rache.
Er lachte auf, als er das Glas wieder auf den Tisch vor sich stellte und sich dann erhob.
Sein Blick fiel über den Pool hinweg, der den Mittelpunkt dieser hochgelegenen Terrasse bildete.
Sie war durch helle Mauern eingefriedet, und die Gewächse - angefangen von duftenden Blumen bis hin zu kleinen Bäumen - ragten aus unterschiedlich großen Kübeln hervor. Hier war Sodom nur die reine Tünche. Das Grauen, das Heulen und Zähneknirschen hatte er in seinem persönlichen Teil ausgeklammert. Doch an vielen Orten der Insel war es noch vorhanden.
Leonidas seufzte. Als Kleidungsstück trug er so etwas Ähnliches wie eine helle Tunika. Es war für ihn sehr bequem, da brauchte er sich in keinen Anzug zu klemmen.
Durch die offene Scheibe betrat er seinen Bereich im Innern des Prachthauses. Ja, es war ein Palast, den er sich hier gebaut hatte. Wie ein übergroßes Vogelnest klebte er auf dem Berg. Weiße Mauern, große Räume, nur recht wenige Möbel, dafür aber voll in die Welt der Kommunikation eingeschlossen.
Über das Internet stand er mit der ganzen Welt in Verbindung, und genau das war für ihn so wichtig. Als seine Tochter umgekommen war, hatte es so etwas noch nicht gegeben oder hatte erst in den Anfängen gelegen. Nun wollte er nicht mehr darauf verzichten.
Er durchquerte den großen Raum, ohne auch nur einen einzigen Blick auf die Möblierung zu werfen. Eine dicke Tür führte hinein in sein Arbeitszimmer, das an einer Seite voll verglast war und einen herrlichen Blick über die Insel erlaubte, bis weit hinaus auf das offene Meer. Er hatte den Anblick oft genug genossen und sich dabei seinen Rachegedanken hingegeben. Damals waren ihm die ersten Pläne durch den Kopf geschossen. Er hatte nachgedacht, sie verworfen, dann wieder neu erfunden und war schließlich zu einem Entschluß gekommen.
Es würde alles so laufen, wie er es sich vorgestellt hatte.
Leonidas nahm hinter dem Schreibtisch Platz. Licht brauchte er nicht. Durch das Fenster wehte die Dunkelheit in den Raum hinein und umfing ihn mit ihren blauen Schatten. Der Herrscher von Sodom lächelte, als er die Schublade aufzog, die sich an der rechten Seite des Schreibtisches befand.
Auf der sehr großen Platte standen der Computer, der Drucker, die Telefonanlage. Der Computer war eingeschaltet, aber im Moment interessierte sich Leonidas nicht dafür.
Der Inhalt der Lade war wichtig.
Er griff mehrmals hinein und holte Gegenstände hervor, die er auf die Platte dicht am Rand des Schreibtisches legte.
Es waren Glasscherben.
Grüne, schillernde Scherben, die allesamt die gleiche Form aufwiesen. Dreiecke mit scharfen Spitzen an den Seiten.
Sechs Scherben lagen vor ihm.
Er schaute sie lächelnd an, als wären sie seine allerbesten Freunde. Es war der letzte Test, den er durchführen wollte. Bestand er ihn, war er für die Zukunft gerüstet.
Sein mantelähnliches Kleidungsstücke knöpfte er auf. Die mit weißen Haaren bedeckte Brust war fleischig. Leonidas litt unter Übergewicht. Er wußte das, aber er tat nichts dagegen. Das Essen, das Trinken, es gehörte einfach zu einem Menschen wie ihm.
Die erste Scherbe hielt er zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand fest. Die obere Spitze wies auf seine Brust. Die dicken Lippen zuckten kurz. Für einen Moment sah es aus, als wollte sich Leonidas sein Tun noch überlegen.
»Nein, ich muß reif sein«, flüsterte er und machte sich somit selbst Mut. »Ich stehe auf der richtigen Seite. Ich bin der Herrscher von Sodom.«
Nach diesen Worten führte er den Test durch.
Die Spitze berührte das Fleisch auf seiner Brust. Ein kleiner Piekser, nicht mehr, aber Aristoteles Leonidas beließ es nicht dabei. Er drückte die Scherbe in seinen Körper hinein. So tief, daß sie steckenblieb. Dabei holte er zischend Luft, ein anderes Geräusch drang nicht aus seinem offenen
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