1105 - Glendas Totenhemd
mal hier?«
Sie verdrehte die Augen. »Mehr Ernst, bitte.«
Diesmal führte Glenda mich. Wir schritten auf die normale Hauswand zu und schraken einmal zusammen, weil vorn auf der Straße das schrille Signal einer Hupe erklang.
Noch bevor wir die Hauswand erreichten, sahen wir die Tür. Sie war zugezogen, doch ich spekulierte darauf, daß sie nicht abgeschlossen war und probierte es einfach.
Perfekt. Nicht verschlossen. Ich zog sie auf und konnte die leisen Geräusche dabei nicht vermeiden.
Bevor wir hineingingen, blickten wir in einen Flur, von dem aus uns ein leicht muffiger Geruch nach alten Klamotten und etwas Mottenpulver entgegenwehte.
Zu hören war nichts. Wir sahen auch nichts Verdächtiges. Ich nickte und raunte Glenda zu: »Die Luft scheint rein zu sein…«
Sie zögerte noch. »Kommt dir das hier geheuer vor?«
»Sorry, aber ich kenne solche Läden kaum.«
»Ha, ha, John, das ist nicht mal witzig.«
Glenda schien im Gegensatz zu mir mit der Umgebung hier Probleme zu haben. Es war hier alles offen, unnatürlich offen, wenn ich ehrlich sein wollte. Wer so etwas tat, hatte wohl keine großen Geheimnisse zu verstecken. Ich wollte Glenda nicht düpieren und betrat den schmalen Flur deshalb als erster. An den Wänden hingen die vergilbten Bilder, auf dem Boden lag ein dünner Filz. Ich fragte mich, ob es Spaß machte, in einer derartigen Umgebung zu kaufen, aber wer Wert auf das Outfit eines Ladens legte, der ging lieber in die entsprechenden Boutiquen.
Eine Tür stand offen. Nicht weit, sie lehnte praktisch an. Der schwache Lichtschein konnte sich trotzdem seinen Weg bahnen und hatte sich auf dem dünnen Teppichfilz verteilt. Noch neben der Tür hielt ich an und wartete auf Glenda, die ihre Schulter anhob und die Stirn leicht gekraust hatte.
»Wieso ist hier niemand, wenn schon Licht brennt? Das kommt mir mehr als seltsam vor - oder?«
»Wir werden es gleich wissen.«
»Hier ist einiges faul, das spüre ich, John. Du nicht?«
»Das Kreuz zeigt keine Reaktion.«
Nach diesen Worten verhielten wir uns still. Ein letztes konzentriertes Lauschen noch, dann setzte ich meinen Fuß vor und stieß zugleich die schon offene Tür nach innen.
Glenda hatte recht. Es herrschte hier eine ungewöhnliche Atmosphäre, und ich rechnete mit nicht gerade angenehmen Dingen. Die Ruhe war schon als Totenstille zu bezeichnen, die nur durch das leise Schleifen der Tür unterbrochen wurde.
Ich spähte in den Raum.
Und beruhigte mich in den folgenden Sekunden wieder, denn er war leer. Niemand wartete auf uns.
Es lag auch keine Leiche auf dem Boden. Es brannte nur eine alte Lampe, doch ihr mehr fahles Licht reichte nicht aus, um den Verkaufsraum überall zu erhellen, es gab noch ein paar dunkle Winkel.
»Du kannst kommen«, sagte ich zu Glenda. »Hier erwartet uns die Normalität.«
Sie stellte sich neben mich. Gemeinsam ließen wir unsere Blicke schweifen.
Wer hier einkaufen ging, der mußte zwangsläufig in den Verkaufsraum hinein. Hier hingen die Kleidungsstücke auf den Ständern, da lagen die Pullover und Blusen in den Regalen. Es gab Hosen in allen möglichen Größen, es gab auch Mäntel, Jacken, Schals. Winter- und Sommerbekleidung hingen getrennt, und in einer großen Schale neben der Kasse schimmerte Modeschmuck. Sie stand auf einer alten Verkaufstheke, hinter der sich ebenfalls ein Regal mit schmalen Fächern aufbaute.
Ich ging bis zur Theke vor. Glenda schritt auf leisen Sohlen zur Seite und steuerte eine der beiden Türen an. Sie öffnete sie vorsichtig und schaute hinein.
»Was siehst du?«
»Eine Umkleidekabine. Aber hinter einer Tür. Komisch.«
Ich kannte mich in den Gepflogenheiten nicht so sehr aus. »Wieso ist das komisch?«
»Normalerweise wird sie von einem Vorhang verdeckt.« Sie schnüffelte. »Es riecht auch so seltsam.«
»Wonach denn?«
»Komm selbst.«
Auch ich schnüffelte und warf einen Blick in die kleine Zelle, in der es kein Fenster gab. Ein Spiegel, ein Bügel, ein Hocker, das war alles.
Aber der Geruch war tatsächlich unangenehm. Zwar alt, wie hier überall, aber auch irgendwie scharf und etwas kalt.
»Kann das nach Verbranntem riechen?« fragte Glenda.
»Nichts dagegen.«
»Wer sollte hier etwas verbrennen?«
»Ha, wir könnten die Besitzerin fragen.«
»Die nicht da ist.«
»Bist du sicher?«
Glenda trat zurück und lehnte sich wie Schutz suchend an mich. »Ich bin mir nicht sicher. Ich habe eher den Eindruck, daß sie weg ist und trotzdem noch irgendwie hier.
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