1105 - Glendas Totenhemd
Wahnsinn. Ich gehöre dazu und keine andere! Verstehst du das?«
»Ich bemühe mich.«
»Dann bemühe dich auch weiter!« zischte Isabella. »Du wirst das Kleid streicheln. Auf eine besondere Art. Du wirst mit den Handflächen von unten nach oben fahren. Du wirst es liebkosen. Du wirst dabei lächeln. Du wirst…«
»Ja, schon gut!«
»Dann fang an!«
Glenda sah keine andere Chance. Sie hatte sich nur leicht auf der Stelle gedreht, um die Besitzerin des Ladens besser im Spiegel sehen zu können.
Isabella sah zwar nicht aus, als wäre für sie eine Welt zusammengebrochen, aber sie hatte schon ihre Probleme und setzte die gesamte Hoffnung auf das Streicheln des Stoffes.
Glenda tat, was ihr befohlen worden war. Sie hatte die Finger so weit wie möglich gestreckt. Die Hände bildeten eine Gerade. Von den Fingerkuppen bis hin zum Handballen würde der weiche Leinenstoff darunter hinweggleiten.
An den Oberschenkeln fing sie an. Nur leicht drückte sie den Stoff gegen ihren Körper. Was sie tat, war genau richtig, denn Isabella gab den entsprechenden Kommentar ab. »Wunderbar, du bist gut. Was man nicht alles tut, wenn man von einer Waffe bedroht wird.«
Glenda Perkins achtete nicht auf die Worte. Sie machte weiter. Sie hielt die Augen halb geschlossen, aber sie konnte trotzdem noch in den Spiegel schauen.
Und sie merkte, daß dieses Kleid doch etwas anderes und auch etwas Besonderes war. Es steckte eine Kraft darin. Glenda merkte, daß sich etwas veränderte. Nicht nach außen hin, da blieb alles gleich. Doch es gab eine andere Macht, die von irgendwoher den Kontakt mit ihr aufnahm, denn in ihrem Innern meldete sich etwas. Es war zuerst nicht zu fassen für sie. Ein leises Rauschen im Kopf, das sich möglicherweise aus zahlreichen Stimmen zusammensetzte. Der leichte Wind fuhr von einem Ohr zum anderen, und sie merkte auch, daß sich das Kleid an Stellen bewegte, die nicht von ihren Händen berührt wurden.
Dann hörte sie die Stimmen.
Fern, sehr fern. Sie tobten durch ihren Kopf, und Glendas Mund zerrte sich in die Breite.
»Was ist?« rief Isabella.
»Sie sind da!«
»Wer denn?«
»Die Stimmen. Es ist wie bei dir. Ich werde nicht verbrennen, ich spüre es genau.« Sie schüttelte den Kopf, und im nächsten Augenblick lachte sie gellend ihr Spiegelbild an…
***
Isabella schwieg, sie war auf einmal unfähig, sich zu bewegen. Mit weit aufgerissenen Augen glotzte sie auf die Frau in der Kabine. Es war zwar in ihr keine Welt zusammengebrochen, aber mit einer derartigen Reaktion hätte sie nicht gerechnet. Sie war ihr einfach zu fremd. Kein Verbrennen wie bei den anderen.
»Warum nicht?«
Glenda streichelte den dünnen Stoff ununterbrochen weiter. Sie sah dabei aus wie jemand, dem es großen Genuß bereitet, das zu tun. Auf dem Gesicht zeigte sich keine Angst, der Mund hatte sich sogar zu einem Lächeln verzogen.
Isabella wußte nicht, was sie unternehmen sollte. Alles war falsch gelaufen. Sie hörte sich selbst keuchen. Das Blut war ihr in den Kopf gestiegen. »Verflucht noch mal, warum verbrennst du nicht zu Asche? Warum nicht?«
»Es paßt mir!« erwiderte Glenda. »Ja, das Kleid ist für mich geschaffen. Ich fühle mich gut. Ich weiß, daß ich die Richtige bin. Nicht du, sondern ich.«
»Hör auf!«
»Ich kann nicht!«
Isabella hielt es nicht mehr auf dem Fleck. Sie trat einen Schritt vor, um die ideale Schußdistanz zu erhalten. Wieder zielte sie auf Glendas Kopf. »Ich habe dir gesagt, daß du aufhören sollst, verflucht! Hast du mich nicht verstanden?«
»Ich kann es nicht. Und ich will es auch nicht!«
»Zieh das Kleid aus, verflucht!« Isabella war wie von Sinnen. So etwas hatte sie noch nie erlebt.
Damit hätte sie auch niemals gerechnet, und es machte sie mehr als wütend, als sie das feine Lächeln auf Glendas Lippen sah.
»Es geht nicht!« sagte Glenda. »Es klebt an mir. Ich habe die Stimmen gehört. Ich weiß, daß ich zu ihnen soll. Du kennst den Weg doch. Du bist ihn gegangen.«
»Ja, verdammt, aber bei mir ist das etwas anders. Etwas ganz anderes.«
Sie hatte sehr laut gesprochen, aber ihre Stimme war so entfernt gewesen. Glenda wußte, daß sie sich vor dieser Waffenmündung nicht in acht nehmen brauchte. Es gab jetzt andere Mächte, die über sie die Kontrolle bekommen hatten und ihren eigenen Willen ausschalteten.
Ich bin die richtige Person, wollte sie sagen. Sie schaffte es nicht mehr, denn plötzlich erfaßte sie ein Ziehen. Zugleich strömte die Wärme von verschiedenen
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