1105 - Glendas Totenhemd
sie, als wollte sie die Faust gegen das Kleid schlagen, doch sie hielt sich im letzten Moment zurück.
Es war gut für mich, daß sich die Frau auf das Kleid konzentrierte. Das es so allein und ohne Hilfe stand, war für mich völlig unnormal. Leider war es mir noch nicht möglich, den Zusammenhang zu ergründen. Mir fielen nur Fragmente ein. Noch konnte ich sie nicht miteinander verbinden, denn ich hatte genug mit mir selbst zu tun. Ohne mich abgetastet zu haben, wußte ich, daß man mir die Waffe nicht abgenommen hatte. Ich spürte den Druck der Beretta. Es bewies mir, daß diese Frau nicht zu den Profis gehörte und sich mehr von ihren Gefühlen leiten ließ. Profis hätten anders gehandelt.
Ein großer Vorteil, den ich auch nicht leichtfertig verspielen wollte.
Isabella trat zurück. Sie atmete dabei schnaufend. Es hörte sich wütend und unzufrieden an, und ebenso wütend fuhr sie auch herum.
Sie konzentrierte sich auf mich. Mir war es gelungen, die Augen zu schließen. Sie sollte nicht merken, daß ich wieder wach war, aber ich drückte die Augen auch nicht völlig zu, sondern hielt sie einen kleinen Spalt offen.
So bekam ich mit, was sie tat, und ihr Interesse galt jetzt einzig und allein mir. Sie fixierte mich. Sie steckte voller Mißtrauen, und sie kam auch auf mich zu.
Dabei hatte sie sich gedreht. Jetzt sah ich zum erstenmal ihre rechte Hand, und ich erkannte auch den Revolver, um dessen Griff sie die Finger geschlossen hatte. Die Mündung war auf mich gerichtet.
Sie kam auf mich zu.
Sehr langsam. Sie ließ mich nicht aus den Augen. Ich mußte schon meine Schauspielkunst aufbieten, um ihr vorzumachen, daß ich noch immer bewußtlos war.
Nicht weit von mir entfernt blieb sie stehen. Für mich in einem schlechten Winkel. Wenn ich sie hätte sehen wollen, hätte ich die Augen verdrehen müssen. Das ließ ich bleiben, und so sah ich nur ihre Beine und einen kleinen Teil des Oberkörpers.
Ich hörte sie atmen. Sie war erregt und zornig. Sie murmelte etwas, das ich nicht verstand. Sie räusperte sich, und der Tritt war gemein. Er traf mich an der Schulter. Ich zuckte zusammen, denn ein so guter Schauspieler war ich nun doch nicht. Selbst den Stöhnlaut konnte ich nicht unterdrücken.
Isabella hatte nur einmal zugetreten. Um mich kümmerte sie sich nicht, es ging ihr vielmehr um Dinge, die passiert waren. Daran hatte sie zu knacken.
»Wo ist sie, verflucht? Warum, zum Henker, ist sie verschwunden und nicht verbrannt?«
Sie hatte die Sätze hektisch ausgestoßen. Ein Zeichen, wie sehr sie unter Druck stand, und mich hatte sie durch die beiden Fragen aufgeklärt. Ich wußte jetzt, daß es ihr um Glenda Perkins ging. Ich war zudem in der Lage, die Zusammenhänge in eine richtige Reihenfolge zu bringen. Es ging ihr um Glenda. Sie hatte sich das Totenhemd überstreifen müssen, weil Isabella wollte, daß sie verbrannte. Wie die anderen Frauen vor ihr, deren Asche unten im Keller in einem großen Ofen lag.
Bei Glenda hatte es nicht funktioniert. Sie war verschwunden, und dafür hatte die Magie des Kleides gesorgt.
»Sie ist nicht würdig, verdammt! Sie kann nicht würdig sein!« sagte Isabella fluchend. »Sie ist eine Fremde. Sie hätte verbrennen müssen, und das ist sie nicht. Warum nicht?« Die letzten Worte hatte sie geschrieen und an mich gerichtet. Dabei scharrte sie wieder mit den Füßen, so daß ich mit einem harten Tritt rechnete, der zum Glück jedoch ausblieb.
Ich hielt mich auch weiterhin zurück. Das paßte Isabella auch nicht, denn sie fiel auf die Knie und schob die Hand mit der Waffe vor. Im nächsten Augenblick spürte ich die Mündung an meiner Stirn. Der Kreis hinterließ einen harten Druck. Der Finger lag am Abzug. Ich schwebte urplötzlich in Lebensgefahr, aber sie schoß nicht. Sie wollte etwas von mir. Eine Erklärung.
»Rede!« fuhr sie mich an. »Verdammt noch mal, du sollst reden! Ich will, daß du mir alles sagst. Okay? Alles. Ich will wissen, was mit ihr passiert ist.«
Zum erstenmal gab ich Antwort. Ich mußte mich nicht anstrengen, um meine Stimme schwach klingen zu lassen. Sie entsprach meinem Zustand. »Ich weiß es nicht… ich… weiß es wirklich nicht.«
Der Druck verschwand nicht. Das Zittern der Hand übertrug sich auf die Waffe. »Wer ist sie?«
»Eine Kollegin.«
»Ja, aber sie muß mehr als das sein!« sagte Isabella. Ihre Stimme hörte sich knirschend an. »Warum ist sie nicht verbrannt, zum Teufel? Warum nicht?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Warte, bis
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