1107 - Die Mutation
aber es gibt noch eine andere Seite, und die hat mein Bruder eingeschlagen.«
»Was hat er denn getan?«
»Er hat sich ihnen ergeben.«
»Wie soll ich das verstehen?«
Jana Cusack schüttelte den Kopf und lachte dabei laut auf. »Das werde ich dir nicht sagen, Sinclair. Man soll nicht alle Geheimnisse preisgeben. Du mußt das schon selbst herausfinden, aber ich weiß nicht, ob du dazu noch kommst.«
Die Frau hatte die Vernichtung der großen Fledermaus überstanden und sich innerlich wieder aufgebaut. Sie dachte jetzt an ihren verschwundenen Bruder. Er war dabei, einen bestimmten Weg zu gehen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß er aufgegeben hatte und geflohen war. Das hier war seine Welt, denn in ihr hatte er sich verstecken können.
Soul meldete sich, da wir anderen nicht mehr sprachen. »Ich will hier raus, Sinclair. Ich… ich… kann hier nicht mehr länger blieben. Es ist so furchtbar, verstehen Sie? Alles ist durcheinander. Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. Body ist tot. Das Ding da hinter Ihnen hat ihn umgebracht. Sie sind doch ein Bulle. Sie müssen das Weib da verhaften. Sie weiß Bescheid.«
»Jana wird auch nicht entkommen. Aber es gibt noch ihren Bruder, das sollten Sie nicht vergessen.«
»Den will ich nicht sehen!«
Ich schaute Soul an. »Bitte, wollen Sie gehen?«
Meine Frage hatte ihn etwas überrascht. »Jetzt?« fragte er.
»Ja.«
»Allein?«
»Ich muß bleiben!«
Soul blickte sich um. Allein wie er das tat, ließ darauf schließen, daß er es nicht tun würde. Seine Angst war einfach zu groß, und er schüttelte den Kopf. »Ich gehe nicht raus in die Dunkelheit. Da verstecken sie sich doch. Das ist Wahnsinn. Ich würde durchdrehen, ich würde schreien. Darauf warten sie. Es sind doch noch welche unterwegs, oder nicht?«
»Davon müssen wir ausgehen.« Ich deutete hoch zu dem offenstehenden Kippfenster.
»Dann bleibe ich.«
»Gut.«
Er schaute sich hektisch um. »Gibt es denn hier keinen Ort, an dem man sich verstecken kann?«
»Sie können ins Haus gehen. Außerdem hoffe ich auf Unterstützung, denn ich bin nicht allein gekommen. Ich habe meinen Freund und Kollegen weggeschickt, um den Wagen zu holen. Er hätte eigentlich längst zurück sein müssen und…«
Jana Cusack unterbrach mich mit einem schrillen Lachen. »Wieso zurück sein?« keifte sie. »Wenn er in der Nacht allein unterwegs gewesen ist, dann wird er zu einer Beute geworden sein. Auf ihn kannst du nicht mehr zählen, Sinclair.«
»Hat sie recht?«
»Noch ist nichts bewiesen.«
Jana Cusack hatte sich gegen den Rand des Beets gelehnt. »Die Nacht ist lang. Sie steht erst am Beginn. Und sie ist auch entscheidend für uns, das kann ich versprechen. Ihr werdet gegen die Übermacht keine Chance haben.«
»Wann sehe ich denn Ihren Bruder, Jana?«
»Keine Sorge, noch früh genug. Dann wirst du dir wünschen, niemals geboren zu sein.«
Man hatte mir schon oft genug gedroht, deshalb nahm ich auch diese Drohung gelassen hin. Allerdings überlegte ich scharf, was mit James Cusack wohl passiert sein könnte. Er war die Person im Hintergrund, um die sich eigentlich alles drehte, die wir allerdings noch nicht zu Gesicht bekommen hatten. Zumindest nicht in der letzten Stunde. Nur Soul hatte ihn gesehen, und von ihm wollte ich wissen, wie Cusack aussah.
Der Mann winkte ab. »Normal!« rief er. »Das ist es ja. Er sah so verdammt normal aus. Nur der Schatten nicht. Deshalb kann ich kaum glauben, was seine Schwester da sagt. So was kann einfach nicht wahr sein. Es gibt Fledermäuse, es gibt Menschen, aber es kann doch keine Mischung zwischen den beiden geben.«
Dazu sagte ich nichts, weil ich es besser wußte. Auch Jana Cusack hielt sich mit einer Bemerkung zurück. Ihr Lächeln allerdings sprach Bände. Auch sie wußte es besser.
Es war recht still geworden. Auch von draußen erreichten uns keine Geräusche. Ich wartete darauf, die Fledermäuse zu sehen, die das Treibhaus hier verlassen hatten. Irgendwann mußten sie zurückkehren. Aber nur der Mond stand als einsamer Beobachter am dunklen Himmel und sandte seinen fahlen Glanz gegen das Dach.
Jana strich über ihr gelbes Kleid. Damit zeichnete sie die Konturen ihres Körpers nach. Die Lippen hatten sich zu einem Lächeln verzogen, und wenn mich nicht alles täuschte, schielte sie sogar auf ihre Uhr.
»Ist die Zeit bald um?«
»Du wirst noch früh genug sterben!« erklärte sie gehässig.
»Wie wird mein Tod aussehen? Werden Fledermäuse über mich
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