1107 - Die Mutation
herfallen?«
»Nein oder vielleicht?« Sie schaute gegen die Decke. Dabei streckte sie einen Finger in die Höhe.
Wie jemand, der die Windrichtung herausfinden will. »Sie sind unterwegs«, sagte sie mit leiser Stimme. »Ich kann es dir schwören, Sinclair. Es wird nicht lange dauern, dann bekommst du sie zu Gesicht.«
Ob sie recht hatte oder nicht, würde sich in den nächsten Minuten herausstellen. Jedenfalls ließ ihre gespielte Ruhe nach. Sie ließ die Blicke durch das Gewächshaus schweifen. Der schwere Blütenduft war noch immer vorhanden. Er lag nach wie vor schwer auf meinen Atemwegen.
Sie waren durch das offene Fenster an der Decke verschwunden. Ich rechnete damit, daß sie auch dort wieder zurückkehrten. Soul sprach ebenfalls kein Wort mehr. Er schaute sich ängstlich um und vermied dabei einen Blickkontakt mit der Leiche.
Die Spannung verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde. Meine Gedanken beschäftigten sich mit Suko. Er hätte schon längst wieder zurück sein müssen. Doch es waren die Fledermäuse entwischt.
Sie gingen auf Blutsuche. Es konnte durchaus möglich sein, daß Suko von ihnen angegriffen worden war.
»Sie kommen!« Janas Worte hatten sich angehört wie ein Jubelschrei.
»Wo?«
Eine Antwort brauchte sie nicht zu geben, denn ich hörte sie bereits. Über unseren Köpfen drangen die Geräusche nach unten. Durch die offene Klappe an der Decke erreichte uns so etwas wie das Geräusch eines Windes.
Ja, das waren sie!
Der Mond verdunkelte sich. Eine flatternde Masse schwebte über dem Dach. Wirbelnde und zuckende Schatten, die über das Glas hinwegtanzten und dann konkreter wurden, als sich die ersten Tiere durch die Öffnung gedrückt hatten.
Jana hatte die Arme in die Höhe gerissen. »Jaaa… jaaa!« brüllte sie ihren Freunden entgegen.
»Kommt her. Kommt zu mir! Hier seid ihr richtig…«
Die ersten fielen nach unten. Sie sackten ab wie Steine, und Soul löste sich von seinem Platz, um unter dem Beet Deckung zu finden. Ich blieb stehen, doch wohl war mir nicht, denn es waren nicht nur zwei oder drei dieser Flattermänner, sondern mehr als ein Dutzend, die sich wie schwarze, fliegende Lappen innerhalb des Gewächshauses verteilten und von Jana wie alte Freunde begrüßt wurden. Sie streckte ihnen die Arme und die Hände entgegen, als wollte sie die Tiere zu einer Landung ermutigen.
Aber sie flogen vorbei. Sie kümmerten sich auch nicht um mich. Sie drehten ihre Kreise, und immer wenn sie in meiner Nähe vorbeikamen, spürte ich den Luftzug ihrer Schwingen.
Keine biß zu.
Die Tiere warteten. Suchten nach Plätzen, fanden sie auch und hängten sich dorthin.
An den Innenseiten der Scheiben klebten sie wie Wachtposten, aber Cusack selbst war noch nicht erschienen. Ich wollte mich an seine Schwester wenden und sie fragen, als ich bemerkte, daß sie wie in Trance nach vorn schaute. Der Gang zwischen den Beeten war frei. Ich war ihn selbst gegangen und wußte auch, daß die Schatten dort überwogen. Das Wärmelicht erreichte ihn nicht, es war für die Beete und die Pflanzen bestimmt.
»Er kommt!« hauchte sie.
Ich holte meine Lampe hervor.
Jana lachte. »Hast du das nötig?«
»Ja.«
Der Strahl war zwar kräftig, aber leider auch recht dünn. Sein heller Streifen teilte die Dunkelheit, und dort, wo er seine Kraft verlor, da bewegte sich etwas.
Wenn es tatsächlich Cusack war, dann hatte er sich im Haus aufgehalten und dort versteckt.
Ich wollte ihn erst gar nicht bis zu uns kommen lassen und lief selbst in den Gang hinein.
»He!« kreischte mir Jana nach. »Wo willst du hin?«
»Ich hole mir deinen Bruder!«
***
Suko wollte den anderen beiden Männern einen gewissen Vorsprung lassen.
Er schätzte sich als kampferfahrener ein. Auf die Beretta hatte er verzichtet. Der Stuhl mußte zunächst als Waffe reichen. Er war nicht zu schwer und recht handlich. Zwischen seinen Leichtmetallbeinen war eine Sitzfläche aus Korb geflochten worden. An der Lehne hielt Suko den Stuhl fest und stellte sich der flatternden Meute. Wie ein Sturmwind waren sie durch die zerbrochene Scheibe in den Raum hineingejagt, und sie nahmen Suko einen großen Teil der Sicht. Die Welt vor ihm befand sich in ständiger Bewegung. Es war ein einziges Flattern, ein Hin und Her, in das der Inspektor immer wieder mit dem Stuhl hineindrosch.
Er hörte die Treffer. Immer wenn eine Fledermaus mit dem Stuhl in Berührung kam, entstand dieses Klatschen, als hätte jemand einen Lappen gegen die Wand geschlagen. Suko
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