Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
1108 - Leichengasse 13

1108 - Leichengasse 13

Titel: 1108 - Leichengasse 13 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
Vom Netzwerk:
wurde ich das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden. Hinter jedem blinden Fenster lauerten die Monster mit den kalten Augen und gewaltigen Mäulern. Sie warteten auf eine Chance, mich zerreißen zu können.
    Der Deckel war in der Mitte kompakt. An den Seiten wies er Löcher auf. Sie waren zu klein und hätten mir auch bei Helligkeit kaum einen Blick in das Dunkel unter dem Gullydeckel erlaubt. Ich holte meine kleine Lampe hervor und freute mich über den Lichtschein, der in das Loch hineinstach und sicherlich fast den Grund erreichte, aber auch jetzt war nichts zu sehen.
    Kein Ausschnitt eines toten Körpers und auch keine bleich schimmernden Knochen. Nichts hatte sich verändert, bis eben auf den Geruch, der jetzt noch stärker zu mir hochdrang.
    Da unten in der Tiefe verfaulte und vermoderte etwas. Fleisch, das durchaus einem Menschen oder auch einem Tier gehören konnte. So genau wußte ich es nicht. Es waren jedenfalls nicht nur alte modrige Lappen.
    Kollegen waren verschwunden und nicht mehr aufgetaucht. Hatte man sie hier in der stinkenden Unterwelt einfach liegenlassen, um sie verfaulen zu lassen?
    Ich leuchtete durch die verschiedenen Löcher, aber es war noch immer nichts zu sehen. Dafür hörte ich etwas. Sehr leise Geräusche. Bei einem normalen Betrieb wären sie nicht zu vernehmen gewesen, hier aber irritierten sie mich.
    Das war kein Plätschern oder Tropfen von Wasser. Da bewegte sich jemand, da kratzte etwas.
    Ratten?
    Die Unterwelt war ihr Revier. Da fühlten sich die Tiere wohl. Ich hatte schon des öfteren Erfahrungen mit ihnen machen können und wußte, daß sie auch Menschen nicht verschonten.
    Allein würde ich den Deckel nicht hochwuchten können, und Hilfe stand mir nicht zur Seite.
    Etwas irritierte mich. Es paßte nicht hierher. Es hatte auch nichts mit dem Gully zu tun. Es war an meine Nase gedrungen, und den Geruch kannte ich.
    Es war der Rauch einer Zigarette.
    Ich schaute hoch, saß noch immer gebückt und sah vor mir mitten auf der Gasse eine hochgewachsene Gestalt, die mit langsamen Schritten und gesenktem Kopf auf mich zukam. Während sie ging, saugte sie hin und wieder an ihrer Zigarette. Dann glühte in Höhe des Mundes jedesmal der rote Fleck auf.
    Ich erhob mich.
    Der andere ging weiter. Er tat, als hätte er mich nicht gesehen. Wenn er seinen Weg so fortsetzte, würde er gegen mich stoßen und mich überrennen.
    Ich räusperte mich.
    Er hörte das Geräusch und blieb an der anderen Gullyseite stehen. Wieder sog er an seiner Zigarette.
    Ein feiner Gluthauch überzog sein Gesicht, das mir recht schmal vorkam. Es konnte auch daran liegen, daß er seine Haare in die Höhe gekämmt hatte. Der Ausdruck war trübe, traurig vielleicht.
    Wie bei einem Menschen, den schwere Sorgen belasteten und der so leicht keinen Ausweg fand.
    Er trug eine dunkle Hose und ein etwas helleres Hemd, das an der linken Seite von oben nach unten mit irgendwelchen fremden Symbolen bedruckt war. Die Ärmel des Hemdes hatte er bis zu den Ellenbogen hochgekrempelt.
    Er schaute mich an, ich behielt ihn im Blick, doch es drang kein Wort über seine Lippen. Erklärungen hielt er zurück. Wichtig war für ihn, daß er ab und zu an seiner Zigarette ziehen konnte. Danach ließ er den Rauch wieder durch die Nase ausströmen.
    »Hi«, sagte ich.
    Der Fremde hob kaum den Blick. Seine Lippen bewegten sich. Er versuchte es mit einem Lächeln, doch es wurde nicht mehr als ein schiefes Grinsen daraus.
    »Wohnen Sie hier?«
    Er zuckte die Achseln. Zu mehr war er nicht fähig, und er fügte auch nichts hinzu.
    »Bitte… ich…«
    Plötzlich sprach er mich an. Die Zigarette drehte er als schon abgebrannte Kippe dabei zwischen den Fingern. »Man ruft mich«, sagte er. »Ja, man ruft mich…«
    »Wer ruft? Ich höre nichts.«
    Er ließ den Rest des Glimmstengels fallen. Er landete zielsicher in einem der Gullylöcher und sank in die Tiefe, wie ein glühendes Auge, das verlosch.
    »Bitte - wer?«
    »Die Stimmen.«
    »Welche?«
    »Sie sind da.« Er schloß die Augen und stöhnte leise. Der Mann war so groß wie ich und auch breit in den Schultern. Doch jetzt wirkte er so klein und niedrig, als wäre er dicht davor, sich einfach verkriechen zu müssen.
    »Wo sind sie denn?«
    »Überall.«
    Er schaute auf seine Arme. Zuerst auf den rechten und dann auf den linken. Die Bewegung war so prägnant, daß ich sie automatisch verfolgte und dabei sah, daß sich auf der Haut an den Armen etwas bewegte. Es waren fließende Bewegungen. Kein

Weitere Kostenlose Bücher