1108 - Leichengasse 13
die ungewöhnliche Aktivierung des Kreuzes hatte ich wieder Hoffnung bekommen, aber eine andere Person machte mir einen Strich durch die Rechnung.
Lautlos war Fay Waldon an mich herangetreten. Sie umfaßte meinen rechten Arm und zerrte mich zurück. »Bitte, John, nicht«, sagte sie flehend. »Laß ihn gehen. Er muß es tun. Du hast ihm schon genug geholfen.« Wie eine Klette hängte sie sich an mich.
Ich war zwar anderer Meinung, was meine Aktivitäten anbetraf, aber ich wollte keine Auseinandersetzung mit Fay haben.
Und so schauten vier Augen zu, was geschah…
***
Die Entfernung zwischen den beiden Todfeinden verringerte sich von Sekunde zu Sekunde. Keiner traf Anstalten, dem anderen aus dem Weg zu gehen. Der Götze stand in seiner ganzen schaurigen Pracht noch immer auf der gleichen Stelle, und der rot glühende Engel ließ sich ebenfalls nicht beirren.
Kein Hindernis hielt ihn auf seinem Weg zurück. So kam er dem Götzen näher und näher.
Es dauerte nicht lange. Nach meinem Geschmack allerdings zog sich die Zeit dahin, als wäre sie künstlich verlängert worden. Es stand hier eine gewaltige Entscheidung an, und ich hoffte mit Fay zusammen, daß es nur einen bestimmten Sieger gab.
Chris war da.
Im Vergleich zudem gewaltigen Monstrum, an dem er hochschauen mußte, um überhaupt das Gesicht sehen zu können, wirkte er klein. Der Mund des Monsters zeigte noch immer den gleichen Ausdruck, er verzerrte sich aber in dem Augenblick, als Chris angriff.
Chris warf sich einfach vor. Wuchtete seinen Körper gegen die Massen des Götzen - und in ihn hinein.
War er weich? Hatte die Glut ihn vielleicht aufgeweicht? Es war mir egal, denn Chris Iron rammte seinen Körper direkt in den anderen hinein, und der Götze schwankte.
Der Ausdruck im Gesicht durchlebte eine Veränderung. Plötzlich sahen wir keinen grinsenden Mund mehr. Da klaffte ein Loch, das mehr einem verzogenen Maul glich. Auch wenn die Gestalt ein alter Götze war, in diesem speziellen Fall erlebte er wahrscheinlich die gleichen Gefühle wie ein normaler Mensch.
Er litt unter den Schmerzen, die in seine Masse regelrecht hineingebrannt worden waren. Der Körper blieb nicht mehr wie er war. Von innen her erfaßte ihn die Glut. Sie brannte und glühte ihn aus, und der Engel drang immer tiefer hinein, so daß er mit dem alten Götzen tatsächlich eine Verbindung einging.
Sie konnte einfach nicht passen, da war ich mir sicher, und plötzlich wußte ich auch, daß es in diesem Fall keinen Sieger geben würde, der zurückblieb.
Ich wußte schon, warum mich Chris nicht an seiner Seite hatte haben wollen. Ich hätte keine Chance gehabt. Möglicherweise nur durch das Kreuz, doch wahrscheinlich hätte ich den gleichen Preis bezahlen müssen wie der Engel.
Er opferte sich.
Er brannte - er verbrannte.
Götze und Engel hatten sich gefunden und waren regelrecht zusammengeschmolzen. Es war eine Einheit, die brannte und glühte, nicht loderte, nicht vergleichbar mit dem normalen Feuer, und von der auch kein Rauch aufstieg.
Sie starben beide.
Sie glühten noch einmal wild auf. Das gewaltige Gebilde aus Engel und Götze bäumte sich hoch, als wollte es vom Boden abheben und in den Nachthimmel fliegen.
Soweit kam es nicht. Das Kunstwerk aus roter Glut fiel einfach um. Es waren keine Unterschiede mehr in der Masse zu sehen, und als das Gebilde auf den Boden aufschlug, dann stob ein Sturm aus Funken in die Höhe, als wollte er einen Regen bilden.
Rote Sternchen wirbelten durch die Dunkelheit, zogen glühende Schweife hinterher, fielen wieder zurück und verloschen.
Wie auch die Masse nicht mehr vorhanden war.
Ausgebrannt, abgebrannt - weg. Nicht abgekühlt. Nein, es gab nichts mehr. Weder von dem alten Götzen, noch von einem Engel, der sich als Mensch Chris Iron genannt hatte.
Der Feuerengel Uriel hatte ihm einen Teil seiner Kraft überlassen. Noch verstärkt durch die Macht meines Kreuzes, war ihm der endgültige Sieg gelungen. Die Umgebung hier würde den Namen Leichengasse kaum mehr zu Recht tragen…
***
Ich drehte mich um.
Fay Waldon hockte am Boden. Sie hatte die Hände gegen ihr Gesicht gepreßt und weinte. Sie wußte, daß es ihren Beschützer nicht mehr gab, aber auch die Gefahr existierte nicht mehr. Wenn sie beides gegeneinander abwog, mußte sie zugeben, daß sie großes Glück gehabt hatte.
Ich zog sie auf die Füße und stützte sie ab, weil sie einfach zu schwach auf den Beinen war. Was sie sagte, verstand ich nicht, weil die Worte immer
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