1108 - Leichengasse 13
als Vollweib bezeichnen.
Sie stand nicht einfach nur in der offenen Tür, sie hatte sich lässig mit einer Schulter gegen die Rahmen gelehnt. Dabei ähnelte sie einer Liebesdienerin, die auf Kunden wartete. Zudem ließ die Haltung darauf schließen, daß sie sich in dieser Umgebung trotz allem sehr sicher fühlte. Ich konnte sie auch deshalb sehen, weil im Haus und hinter ihr Licht brannte. Ein düsteres Licht, das den Begriff hell nicht verdiente. Unheimlich. Dunkel, dann violett und von einer besonderen Quelle stammend, die hinter der Frau lag.
Daß sie mir die Türgeöffnet hatte, war nicht ohne Grund geschehen. Sie wollte etwas von mir, und sie lebte im Haus mit der Nummer 13, die eine Schicksalszahl für viele war. Da brauchte ich nur an Freitag, den 13. zu denken.
Die Frau war angezogen. Früher hatte man Hot pants gesagt, so knapp saß die Hose. Ein ärmelloses eng anliegendes Hemd bedeckte den Oberkörper, bei dem sich die Kurven der Person deutlich abzeichneten. Ihr Gesicht lag etwas im Schatten, so daß ich es nicht genau erkennen konnte. Dafür sah ich die Haare, die dunkel auf ihrem Kopf wuchsen, oben glatt und an den Seiten gekraust waren. Als Korkenzieherlocken hingen sie zu beiden Seiten des Gesichts nach unten.
Ich hatte mich noch nicht bewegt, und auch die Fremde tat nichts. Sie schaute mich nur an, bis sie schließlich einen Arm anhob und mir zuwinkte.
Ich sollte zu ihr kommen. Sie wollte mich in die Falle locken oder ins Haus, wobei das eine das andere nicht ausschloß. Bevor ich zu ihr ging, suchte ich die nähere Umgebung noch so gut wie möglich ab, aber weitere Personen entdeckte ich nicht. Was nicht heißen mußte, daß sich niemand in der Nähe aufhielt. Die Gasse war einfach zu dunkel und bot natürlich zahlreiche Verstecke.
Sehr langsam ging ich vor. Die Frau bewegte sich nicht. Ob sie mir zulächelte, konnte ich ebenfalls nicht sehen, weil die Umgebung einfach zu finster war.
Ich ließ mir Zeit. Lauschte meinen eigenen Geräuschen, die wirklich die einzigen waren. Die Unbekannte gab keinen Laut von sich. Sie atmete nicht einmal, Zumindest hörte ich nichts.
Als ich näher kam, sah ich ihr Gesicht besser. Es war recht blaß, etwas rund mit recht dicken Wangen, einem kleinen Mund und einem runden Kinn. Dunkle Augen, eine kleine Nase. Grübchen in den Wangen. Die Person erinnerte mich an eine Kindfrau, die es sehr gut verstand, ihre Reize auszuspielen. Ihr Alter schätzte ich auf knapp über Zwanzig.
Ich blieb vor ihr stehen und nickte ihr zu. Der Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Du kannst reinkommen«, sagte sie.
»Darf ich fragen, wer du bist?«
»Ich heiße Fay Waldon.«
»Gut, ich bin John.«
»Sehr schön.«
»Lebst du hier allein?«
»Komm ruhig ins Haus.«
Da ich an ihr vorbeischaute, war auch mein Blick frei. Das Haus besaß einen Eingangsbereich.
Nicht mehr als einen dunklen Flur, der sich hin bis zu einer Treppe zog. Insofern war alles normal, ebenso wie die beiden Türen rechts und links, die zu Wohnungen führten. Eine Tür stand offen. Aus ihr drang auch das Licht, das auch jetzt für mich nicht mehr als ein schmutziger Schein war.
»Ist das deine Wohnung?«
»Sicher.«
»Geh vor.«
Ich hörte sie leise lachen. Danach stieß sie sich vom Türrahmen ab und setzte sich in Bewegung. Sie streifte mich. Für einen Moment spürte ich die warme Haut durch den Stoff ihres Oberteils. Als ich stehenblieb, schloß Fay die Haustür.
Ich machte ihr Platz, damit sie an mir vorbei auf die Wohnung zugehen konnte. Sie passierte mich, ohne mir einen Blick zuzuwerfen, wartete jedoch auf der Schwelle und ging erst weiter, als ich sie übertrat und die Wohnung betrat.
Es gibt modern eingerichtete Zimmer und auch andere mit Möbeln aus alten Zeiten. Hier war es so.
Ich sah einen alten Ofen, einen Tisch, eine Bank und einen Schrank, der keine Türen hatte und mehr einem Regal glich. Auf den Brettern verteilte sich Geschirr.
Ich hatte die Auswahl und konnte mich auf die Bank setzen, aber auch auf zwei schlichte Holzstühle am Tisch. In der Bank kam ich mir zu eingeklemmt vor, deshalb nahm ich auf einem der Stühle Platz.
Fay schloß die Tür und kam näher.
Das Licht stammte von einer Deckenleuchte. Sie war dunkel eingefärbt. Das Glas besaß eine violette Farbe, die viel Helligkeit verschluckte.
Auch Fay setzte sich. Ich konnte sie direkt anschauen, weil sie auf dem schmalen Teil der Bank saß.
Nicht weit von ihr entfernt zeichnete sich der Umriß des Fensters
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