111 - Wenn das Grauen sich erhebt
stockend. »Sie war aufgeregt, hatte Angst… Sie sagte, jemand würde sie verfolgen, und bat mich, sofort zu kommen. Ich forderte sie auf, in der Telefonzelle zu bleiben, und fuhr sofort los.«
»Von wo aus rief sie an?« wollte ich wissen.
»Aus Soho«, antwortete der häßliche Gnom. »Doch als ich die Telefonzelle erreichte, war sie leer. Der Hörer hing herab, und ich spürte etwas…« Der Knirps sah mich düster an. »Die Reststrahlung eines Dämons, der gegen Tuvvana schwarzmagische Kräfte eingesetzt hatte, Tony. Und auf dem Boden entdeckte ich… Blut«
Ich schluckte. »Demnach ist Tuvvana verletzt.«
Wieder nickte der sympathische Kleine.
»Irgendwelche Spuren, mit denen sich etwas anfangen läßt?« erkundigte ich mich.
Der Gnom schüttelte den Kopf. »Ich habe Tuvvana gesucht. Zuerst zu Fuß und dann mit dem Wagen. Ich habe Soho zwanzig Minuten lang durchpflügt.«
»Ich werde mich an Ort und Stelle umsehen«, sagte ich. »Vielleicht fällt mir etwas auf, das du übersehen hast.«
»Was dagegen, wenn ich mitkomme?« fragte Cruv.
»Nicht das geringste«, gab ich zurück.
Boram stand bereits an der Tür. Er verdichtete den Nesseldampf, so daß seine Hand hart wurde und er die Klinke nach unten drücken konnte.
Ich leerte mein Glas und stellte es ab. »Vielen Dank für den Drink, Partner. Ich halte Sie wie immer auf dem laufenden.«
Der Industrielle nickte, und ich verließ mit Boram und Cruv den Raum.
»Egal, wer sich an Tuvvana vergriffen hat«, knirschte Cruv, als wir in meinen Rover stiegen. »Er muß sterben, und ich werde es sein, der ihn tötet!«
»Da wirst du dich aber sputen müssen«, sagte ich grinsend. »Denn wenn Boram oder ich ihn vor dir erwischen, warten wir nicht auf dich. Stimmt’s, Boram?«
»So ist es, Herr«, antwortete der Nessel-Vampir und setzte sich in den Fond, während der Gnom neben mir auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Er saß mit verschlossener Miene neben mir, hielt seinen Stock mit beiden Händen fest und wartete darauf, daß ich losfuhr.
Ich konnte mir sehr gut vorstellen, wie es in seiner schmalen Brust jetzt aussah.
»Du kriegst sie wieder«, machte ich ihm Hoffnung, »Und wir machen den verdammten Kerl unschädlich.«
»Ich möchte, daß ihr ihn mir über laßt«, knurrte der Kleine.
»Mal sehen«, sagte ich und ließ den Rover anrollen.
***
Soho hat ein eigenartiges Flair, Kein anderer Stadtteil kann diesbezüglich mithalten. Manchmal hatte ich den Eindruck, als lebten die Menschen, die hier wohnten, intensiver als anderswo.
Anscheinend spürte das nicht nur ich, deshalb wurde Soho auch so gern von Touristen besucht. Es war warm, die Luftfeuchtigkeit war hoch. Man kam sich vor wie in den Tropen. Es gibt Weiße, die behaupten, die Schwarzen wären faul, doch das stimmt nicht. Die Neger passen ihr Arbeitstempo lediglich den klimatischen Verhältnissen an. Würden sie das nicht tun, dann würden sie in wenigen Jahren zusammenbrechen.
An diesem Tag verlief die Linie des Äquators mitten durch London.
Wir erreichten die Telefonzelle, in der sich Tuvvanas Schicksal erfüllt hatte. Ich machte mir mehr Sorgen um die Kleine, als ich zugeben wollte - wegen des Blutes!
War Tuvvana nur verletzt? Öder hatte es sie schlimmer erwischt?
Jedesmal, wenn mir der Gedanke kam, sie könnte tot sein, trieb es mir den Angstschweiß aus den Poren.
Vielleicht erriet Cr uv meine schrecklichen Befürchtungen, doch er schwieg. Tuvvana mußte noch leben. Etwas anderes wollten wir nicht gelten lassen.
Ich stieg aus. Boram blieb im Wagen -das nahm ich jedenfalls an, denn ich sah ihn nicht Er hatte seine Dampfgestalt so sehr ausgedehnt, daß man ihn nicht mehr erkennen konnte.
Cruv verließ den Rover und öffnete die Tür der Telefonbox. Der Hörer hing am Haken, die Blutspuren waren verwischt. Man hatte von hier aus inzwischen wieder telefoniert…
Alles schien in Ordnung zu sein - aber das war es nicht!
»Von einer Reststrahlung spüre ich nichts«, sagte ich.
»Ich auch nicht mehr«, sagte Cruv. »Sie hat sich mittlerweile verflüchtigt Aber sie war vorhanden.«
»Das brauchst du nicht extra zu betonen«, erwiderte ich. »Ich habe nicht an deinen Worten gezweifelt«
Ich schaute durch das Glas und entdeckte einen jungen Mann. Er trug verwaschene, ausgefranste Jeans, ein schwarzes T-Shirt, und seine Wangen bedeckte ein Dreitagebart.
Er lehnte an der Hausmauer, hatte ein schwarzes Tuch auf dem Gehsteig ausgebreitet, auf dem er Filigranschmuck zum Kauf anbot. Soeben
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