111 - Wenn das Grauen sich erhebt
Er sollte die Ghoulsippen Europas vereinen und stärken.
Ob er damit bereits begonnen hatte, wußte niemand. Es war sehr vieles in der Schwebe, Wenn es zum Umsturz kam, wollte niemand den richtigen Moment verpassen und sich rechtzeitig seinen neuen Platz sichern - womöglich weiter oben.
Ein knirschendes Geräusch geisterte durch die schummrige Gruft. Tuvvana wußte, was das zu bedeuten hatte.
Stockard Ross kehrte zurück!
Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, Er sollte ihre Tränen nicht sehen.
Seine Schritte klangen schwer. Er erschien am Gittertor, schloß es auf und trat ein.
Groß und stämmig war er, Auch ohne seine dämonischen Kräfte war er nur von wenigen Männern zu bezwingen.
Sein Vollbart war struppig und verfilzt, und in seinen Augen glitzerte all die Bosheit, zu der er fähig war.
Tuvvana hob trotzig den Kopf und sah ihn an. »Ich sehe keinen Sinn in deinem Handeln«, sagte der weibliche Gnom, »Du kannst mich unmöglich für eine weiße Hexe halten.«
»Ich weiß, daß du keine Hexe bist«, bestätigte Stockard Ross und trat näher.
»Was willst du dann von mir?« fragte Tuvvana.
»Auf Coor würdest du heute wahrscheinlich nicht mehr leben«, sagte der dämonische Hexenjäger. »Du hast keinen Grund, dich zu beklagen und mit deinem Schicksal unzufrieden zu sein.«
»Hast du vor, mich zu töten?«
»Vielleicht. Das kommt darauf an.«
»Worauf kommt es an?« wollte Tuvvana wissen.
Der Hexenjäger lachte rauh und musterte den weiblichen Gnom. »Also gut, ich werde dir verraten, was ich vorhabe. Ich werde hier in der Nähe auf einer kleinen Lichtung im Waid drei Galgen errichten.«
Tuvvanas Kehle wurde eng.
Sie dachte an Cruv, der bestimmt schon alle Hebel in Bewegung gesetzt hatte, um ihre Spur zu finden.
Aber sie befand sich nicht mehr in London. Wie sollte Cruv auf die Idee kommen, sie hier zu suchen?
»Drei Galgen?« fragte Tuvvana, und ihr war, als läge eine Schlinge um ihren Hals. »Für wen?«
»Das ist wohl nicht schwer zu erraten«, erwiderte Stockard Ross. »Selbstverständlich für drei weiße Hexen. Sie halten sich für zu gut, um dem Teufel zu dienen, wollen von Asmodis, ihrem Herrn, nichts wissen. Das sollen sie büßen. Sie werden hängen! Alle drei!«
»Aber… was habe ich damit zu tun?« fragte Tuvvana verständnislos.
»Du scheinst nicht besonders intelligent zu sein, Kleine«, sagte Stockard Ross abfällig. »Denk doch mal nach. Streng das bißchen Grips an, das sich in deinem kleinen Kopf befindet. Du bist keine weiße Hexe, aber es befindet sich eine in deinem Freundeskreis.« Tuvvanas große Augen weiteten sich noch mehr. »Lance Selby!« stieß sie krächzend hervor.
»Endlich hast du’s begriffen«, sagte der Hexenjäger. »Sehr richtig - Lance Selby! Er wird an einem der drei Galgen baumeln, denn in ihm befindet sich der Geist der weißen Hexe Oda. Lance Selby wird sterben - und mit ihm die abtrünnige Hexe Öda. Du bist mein Köder. Ich kann mir nicht denken, daß er etwas tun wird, was dein Leben gefährdet. Er wird mir gehorchen, um dich zu retten. Und dieser edle Zug wird ihn das Leben kosten,«
***
Der Parapsychologe Lance Selby war wohl einer der einmaligsten Menschen, die es auf der Welt gab.
Diesen Umstand hatte er vor allem Professor Mortimer Kull, dem wahnsinnigen Wissenschaftler, zu verdanken Kull hatte ihm sein Blut genommen und dieses durch einen synthetischen Lebenssaft ersetzt, wodurch Selby zum Kamikazekiller wurde, der in Kulls Auftrag Tucker Peckinpah töten und dabei selbst sterben sollte.
Roxane, die Hexe aus dem Jenseits, konnte das verhindern, indem sie den Parapsychologen in einen magischen Schlaf versetzte.
Damit war Lance zwar unschädlich gemacht, aber Kulls synthetisches Blut hatte eine Nebenwirkung: Lance Selby alterte besorgniserregend rasch, wurde zum Greis und - starb.
Zum gleichen Zeitpunkt tötete Mago mit dem Höllenschwert Oda, Lances Freundin, doch dem Geist der weißen Hexe gelang es, den Körper zu verlassen, ehe das Höllenschwert ihn traf.
Odas Geist übernahm Lance Selbys Körper und machte die Wirkung des künstlichen Blutes rückgängig, so daß der Parapsychologe seit einiger Zeit wieder ganz der alte war.
Dennoch hatte er sich verändert, obwohl man ihm das nicht ansah. Er hatte Oda geliebt. Seit ihrem Tod war er schwarzen Feinden gegenüber härter, unerbittlicher geworden - und es war ihm möglich, Hexenkräfte gegen sie einzusetzen, Er war ein großer Mann, 38, mit der Andeutung von
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