1111 - Der Maskenmann
weil es einfach bis zum Wasser hin zu dicht bewaldet war, so mußte sie den normalen Weg nehmen, der zwar auch des öfteren durch schattigen Wald führte, aber mehr als Spazierweg benutzt wurde von den Menschen aus dem nahen Ort, und manchmal auch von Fremden, die dieses Gebiet als Erholungsareal nutzten. Es war ja auch wunderbar, es war einsam. Es war einfach toll. Ein Stück Natur und heiler Welt zum Genießen.
Für Melody Scott war diese Welt nicht mehr heil. Sie hatte einen Riß bekommen. Mit jedem Schritt den sie zurücklegte, vergrößerte sich dieser Riß. Es schien keine Sonne aus ihm hervor, sondern das düstere Licht einer Hölle, die alles Leben in sich hineinziehen wollte.
Immer dort, wo sich der Wald lichtete, blieb sie schwer atmend und mit heftig klopfendem Herzen stehen, um wieder den Blick über das Wasser schweifen zu lassen. Es war sinnlos, denn es gab keine Veränderung. Niemand tauchte auf, um ihr zu winken. Kein Jerry Randall stand an einem entfernteren Uferstreifen, wo er tanzte und lachte.
Nein, das war kein Spaß mehr. Sie würde ihm auch, sollte er jetzt in diesem Moment auftauchen, keinen Vorwurf machen. Sie würde ihn nur in die Arme schließen und dabei lachen und weinen vor Glück, weil er wieder bei ihr war.
Jerry tat ihr den Gefallen nicht.
Und der See schwieg ebenfalls.
Die blonde Melody mit dem kurzen Zopf und den Sommersprossen ging jetzt langsamer weiter. Sie hielt den Kopf gesenkt. Sie hörte sich weinen und spürte die Kälte in sich und zugleich auf dem Körper wie nie zuvor.
An einer Weggabelung blieb sie stehen. Der Pfad führte hügelaufwärts, um nach fast einem Kilometer die normale Straße zu erreichen.
Sie ging nicht mehr weiter, denn ihr Gefühl sagte ihr, daß es keinen Sinn mehr hatte. Sie würde ihren Freund nicht finden. Nicht in der nächsten Stunde, auch nicht in der folgenden und ebenfalls nicht in der vor ihr liegenden Nacht.
Wie in Trance bewegte sie sich dorthin, wo noch ihre Kleidung und die ihres Freundes lag. Sie blieb daneben stehen und betrachtete sie bereits wie Erinnerungsstücke eines Menschen, den sie einmal sehr gern gehabt hatte. Daß sie alles verschwommen sah, lag nicht daran, daß der Wind Wasser ans Ufer wehte, das die Kleidung überschwemmte, es lag einfach an ihren Tränen, die einen Schleier über die Augen gelegt hatten.
Beide waren mit ihren Rädern hergefahren. Als wäre nichts passiert, lehnten die beiden Bikes an einem Baumstamm.
Eines würde hierbleiben…
Aus einer Seitentasche zog Melody ein dünnes Tuch. Sie wischte die Tränen ab, schneuzte die Nase und wunderte sich darüber, wie klar sie plötzlich denken konnte. Ab jetzt wußte sie genau, was sie zu tun hatte.
Sie würde so schnell wie möglich nach Youldon fahren, um den Konstabler zu informieren. Der Mann mußte einen Suchtrupp zusammenstellen. Für sie gab es jetzt keinen Zweifel mehr, daß ihr Freund in diesem verdammten See ertrunken war.
Schon im Begriff sich abzuwenden, passierte etwas, das ihren Plan zunächst zerstörte.
Das sonst ruhige Wasser »meldete« sich.
Melody drehte sich wieder um. Ihr Blick war klar. Er sezierte die dunkelgrüne Fläche, die sich an der von ihr gesehenen linken Uferseite bereits durch die untergehende Sonne rötlich gefärbt hatte.
Das allerdings war es nicht, was sie so faszinierte.
Wichtiger war das Wasser.
Dort bewegte sich etwas. Es schlug Wellen, doch die wurden nicht von einem Boot verursacht, das auf dem See fuhr. Der Grund für diese Veränderung lag unter der Oberfläche.
Was Melody Scott dann erlebte, ließ sie in ihrem gesunden Menschenverstand zweifeln…
***
Das Wasser in Ufernähe blubberte!
Aufgrund der letzten Minuten, die gespickt mit Angst und Sorgen gewesen waren und ihren klaren Verstand beeinträchtig hatten, glaubte Melody an eine akustische Täuschung, weil diese Geräusche überhaupt nicht paßten. Selbst die dicksten Frösche produzierten andere.
Aber das ungewöhnliche Blubbern verging nicht. Melody mußt sich damit auseinandersetzen.
So trat sie näher an das Wasser heran, bis ihre Fußspitzen naß wurden. Das kümmerte sie nicht.
Überhaupt verschwendete sie keinen Blick oder Gedanken an sich selbst. Sie dachte nur an ihren Freund und jetzt auch an das ungewöhnliche Geräusch, das sie automatisch mit seinem Verschwinden in einen Zusammenhang brachte. Es war aus dem Wasser gedrungen, und sie war überzeugt, dort die Ursache sehen zu können.
Es lag an den Luftblasen, die aus der Tiefe des
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