1111 - Der Maskenmann
stockte der Atem, und sie merkte, wie ihr Inneres immer stärker in Mitleidenschaft gezogen wurde. Das Blut stieg ihr in den Kopf und verursachte dort ein Rauschen, das ihre Gedanken völlig ausschaltete.
Dann rollte die Kugel an ihrem Bauch hoch. Sie hatte es nicht eilig; die Geschwindigkeit blieb immer gleich langsam. Die Kugel nahm ihren direkten Weg über die Körpermitte und würde, wenn sie wo weiterrollte, bald ihr Kinn und damit auch ihr Gesicht erreicht haben.
Die Vorstellung, daß dieses Zeug sie benetzen konnte, steigerte noch einmal ihre Furcht. Der Druck in der Magengegend nahm zu. Sie bekam kaum noch Luft und die gesamte Umgebung schien sich in eine Welt der Schatten verwandelt zu haben, als wäre sie in ein schauriges Märchen hineingestoßen worden.
Eine leichte, schon beinahe kitzelnde Berührung hinterließ die Kugel bei ihrem Weg nach oben.
Melody wußte, daß sie sich jetzt entscheiden mußte. Entweder ließ sie es zu, daß dieses fremde Ding ihr Gesicht berührte und zum erstemal direkten Kontakt mit der Haut bekam, oder sie überwand die eigene Scheu, griff zu und schleuderte das weiche Ding ins Wasser zurück.
Ihr blieb nur die zweite Möglichkeit.
Mit beiden Händen packte sie die Kugel an. Innerlich und auch äußerlich hatte sie sich versteift. Ein Gefühl des Ekels durchdrang sie.
Sie streckte die Hände von sich, und dabei drückte sie nicht zu stark gegen die Kugel. Das Ding bestand aus einem weichen Material. Es war kein Gummi, es erinnerte mehr an Pudding. Oder - was noch besser zutraf - an gestocktes Blut.
Sie gab Druck.
Zuviel, denn die Kugel zerplatzte.
Melody war so überrascht, daß sich aus ihrem Mund ein Schrei löste.
Die Kugel hatte sich aufgelöst. Zahlreiche Blutspritzer oder was auch immer umtanzten sie, bevor sie zu Boden klatschten und dort liegenblieben.
An ihren Handflächen klebten noch die schmierigen Reste, vor denen sich Melody ebenfalls fürchtete. Sie wollte die Hände nicht so schmutzig behalten, bückte sich, um sie im Wasser zu reinigen, als sie in der Bewegung verharrte.
Etwas war ihr aufgefallen.
In dem Augenblick, als die Kugel zerplatzt war und sich aus ihrem Mund der Schrei gelöst hatte, hatte sie noch etwas anderes gehört. Ein Geräusch, das in der ersten Panik einfach untergegangen war, nun jedoch wieder in die Erinnerung zurückkehrte.
Es war ein Lachen gewesen.
Das helle und zugleich harte Lachen eines Mannes, der ihr sehr bekannt war.
Jerrys Lachen!
Melody fiel nach vorn. Ihre Hände tauchten in das kalte Seewasser, das schließlich hoch bis zu ihren Ellbogen reichte. Ich drehe noch durch, dachte sie, ich schreie, ich tobe, ich reiße mir die Haare aus, ich… ich…
Sie tat nichts von dem. Sie hockte am Seeufer und merkte, daß sie automatisch ihre Handflächen säuberte, damit keine dieser häßlichen Spuren zurückblieben.
Dann stand sie auf. Es bereitete ihr Mühe, und sie merkte, wie sie nach hinten fiel. Ohne es zu wollen, saß sie plötzlich auf dem weichen Uferboden, den starren Blick über den See gerichtet. Dort schwammen noch die Kugeln, aber sie tanzten nicht mehr auf der Oberfläche. Inzwischen waren sie wieder tiefer gesunken und dorthin geglitten, wo der Schein der untergehenden Sonne sie noch erwischte.
Melody Scott stand auf. Sie ging nicht mehr, sie taumelte auf ihr Fahrrad zu. Plötzlich haßte sie das Ufer. Sie haßte den See. Sie haßte eigentlich alles hier, was ihr noch vor wenigen Stunden soviel Freude bereitet hatte.
Jerry Randall war verschwunden. Es gab ihn nicht mehr. Oder gab es ihn doch?
Melody konnte sich nicht entscheiden. Das verdammte Lachen klang noch durch ihre Ohren. Das allerdings hatte sie sich bestimmt nur eingebildet, denn sie wollte nicht akzeptieren, daß ihr Freund ertrunken war.
So schwang sich Melody auf ihr Rad und fuhr davon. Nur weg, fort von hier. Weg von diesem verdammten See, in dessen Tiefe der Teufel persönlich zu hocken schien…
***
Mücken umschwirrten Melodys Kopf. Sie saß im Schatten des Autos und kam sich so schrecklich verloren vor. Sie hatte auch keine Tränen mehr, denn die waren nach dem langen Weinen in der Nacht versiegt. Sie fühlte sich so leer und ausgebrannt. Wie jemand, dem alle Energien genommen worden waren.
Um sie herum herrschte zwar kein Chaos, aber eine gewisse Hektik war schon vorhanden. Sie hatte es geschafft, die Polizisten und Helfer davon zu überzeugen, daß ihr Freund im See ertrunken war.
Jetzt wurde nach der Leiche gesucht.
Feuerwehr,
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