1113 - Die Fratzen der Fresser
Ellbogen fest, und wir hatten freien Blick.
Zwischen Hals und Schulterbogen malte sich die Wunde ab. Sie war nicht unbedingt groß, aber auch nicht besonders klein. Sie besaß einen rötlichen Wundrand, aus dem ein höckerähnliches Gewächs wuchs, das dunkler aussah als der Rand. In einem Rot- und einem Braungemisch.
»Da ist es.«
Wir beugten uns vor, um es genauer betrachten zu können. Die Wunde war nicht harmlos, das auf keinen Fall, aber sie sah recht harmlos aus. Es war schwer vorstellbar, daß sich hier ein Kopf ins Freie gedrückt und auch keine weiteren Spuren hinterlassen hatte, denn in der normalen Haut sahen wir keine Risse oder schmale Wunden, auf denen sich eine Blutkruste abgesetzt hatte.
»Ja, danke«, sagte ich.
Kate Cameron ließ den Stoff so wie er war. »Und mehr haben Sie dazu nicht zu sagen?«
»Im Moment nicht.«
»Ach ja, Sie sind ja Polizisten. Ich kenne das von meinem Mann. Wie geht es ihm?«
»Wir sollen Sie grüßen.«
»Also geht es ihm schlecht, wenn Sie so ausweichen.«
»Zumindest nicht besonders gut«, relativierte Suko. »Nachdem was vorgefallen ist, kann es nur normal sein.«
»Ja, ich habe auch Angst um ihn.«
»Und wir um Sie.«
Sie winkte ab. »Es hat mich eben erwischt«, flüsterte sie. »Ich hätte auf meinen Mann hören sollen.«
»Warum sagen Sie das, Mrs. Cameron?«
»Es ist so, Mr. Sinclair. Er ist immer gegen diese Fahrten gewesen. Ich im Prinzip auch, aber ich wollte sie wegen Windsor Castle mitmachen. Mein Mann hat mir immer versprochen, es einmal zu besuchen, aber das war nicht möglich. Er hat auch etwas gegen die Royals. Als Ire ist er eben auch etwas Nationalist. Da bin ich eben allein gefahren.«
Für das, was Kate Cameron hinter sich hatte, hatte sie sich mehr als tapfer gehalten. Da war ihre Haltung einfach nur zu bewundern. Es konnte auch sein, daß man ihr entsprechende Mittel verabreicht hatte, um sie ruhig werden zu lassen.
»Sie geben der Fahrt die Schuld an Ihrer Veränderung?«
»Ich sehe keinen anderen Grund.«
»Was ist dort passiert?« fragte ich.
Sie gab uns einen Bericht und trank zwischendurch gelegentlich einen Schluck Wasser. Alles lief normal, auch die verdammte Anmache der Verkäufer, die den Menschen ihre überteuerte Ware schmackhaft machen wollten. Mit Zuckerbrot und auch Peitsche. Sie verteilten Lob, sie drohten, sie spielten mit der Angst der zumeist älteren Fahrgäste, indem sie immer wieder die Gesundheit ansprachen und das doch recht kurze Leben, das sie vor sich hatten, und es sich, bitte schön, doch so bequem wie möglich machen sollten.
»Das war alles?« fragte Suko.
Kate Cameron blieb ruhig. Es war eine gespielte Ruhe, denn in ihrem Innern kochte es. Sie wich unserem Blick aus und drehte den Kopf dem Fenster zu. »Nein, das war nicht alles«, gab sie zu.
»Was passierte noch?«
»Ich weiß es auch nicht genau«, erwiderte sie und zuckte die Achseln. »Wenn ich darüber nachdenke, habe ich so etwas wie einen Blackout gehabt.«
»Während der Veranstaltung?«
»Ja, Mr. Sinclair. Aber ich saß nicht mehr bei den anderen. Ich… ähm… nun ja, ich mußte mal auf die Toilette. Ich weiß noch, wie ich die Tür geöffnet habe, aber nicht die zur Toilette. Ich gelangte in einen anderen Teil des Gasthofs. Eine Treppe führte in die unteren Räume, wo sich auch die Toiletten befanden. Ich erinnere mich noch an eine große Garderobe… ja und dann an nichts mehr. Dann war alles vorbei. Als hätte mir jemand gegen die Stirn geklatscht und mein Gesicht getroffen. Schluß, Ende.«
»Wann sahen Sie wieder klar?« wollte ich wissen.
»Als ich oben war und mich wieder zu den anderen setzte. Aber die Erinnerung an die Zeit unten im Keller war gelöscht. Da fehlten mir Minuten?« Sie zuckte wieder mit den Schultern. »Oder war es eine Stunde? Ich weiß es nicht genau. Mir ist nur noch in Erinnerung geblieben, daß mich die anderen Mitreisenden so seltsam angeschaut haben.«
»Wissen Sie, ob einem von ihnen das gleiche widerfahren ist wie Ihnen?«
»Nein, Mr. Sinclair. Über dieses Thema habe ich bewußt nicht gesprochen. Ich habe mich auch geschämt.«
Das konnten wir verstehen. Uns fehlten noch gewisse Informationen, die wir uns einholen wollten.
So erfuhren wir, daß Mrs. Cameron mit einem Reiseveranstalter gefahren war, der seine Fahrten als Around London anbot. Da wurden zahlreiche Ziele angefahren, immer verbunden mit einer Verkaufsveranstaltung.
»Kennen Sie noch Namen?« fragte Suko. »Die Typen, die dort die
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