1113 - Die Fratzen der Fresser
Thema an. Statt dessen behielt ich die Fahrgäste im Blick. Ich sah nur ihre Rücken. Sie saßen in ihren Sitzen wie festgeklebt. Es gab keine Veränderung bei ihnen. Ihre Körper bewegten sich nicht freiwillig, sondern im Rhythmus der Fahrbewegungen. Der Bus schaukelte hin und her, wenn er über unebene Stellen hinwegrollte, mal in die von Bäumen gebildeten Schatten fuhr und dann wieder ins grelle Sonnenlicht.
Britta hatte sich gesetzt. Sie saß links neben dem Fahrer und hielt auch keine Ansprache mehr. Die Fahrgäste waren sich selbst überlassen worden. Glenda hatte recht. Es gab eine Veränderung zum ersten Teil der Reise vor der Pause. Die Lockerheit war verschwunden, auch die Unterhaltungen wurden nicht mehr so laut geführt. Wenn sie jetzt redeten, dann sprachen sie gedämpft, als hätten sie Angst davor, daß ein anderer mithören könnte.
Es tat sich was. Sie merkten, daß sie sich dem eigentlichen Ziel näherten. Wahrscheinlich waren sie schon infiziert, was immer das auch bedeuten konnte.
Niemand trank Bier. Keiner lachte. Es wurden auch keine Karten mehr gespielt, aber die Fahrgäste kamen mir trotzdem nicht müde vor. Zwischen ihnen knisterte es. Die Spannung war zu greifen.
Vor uns stand eine Frau auf. Ihr Haar zeigte über dem natürlichen Grau einen violetten Schimmer.
Ich hätte nicht sagen können, daß sie die Doppelgängerin der Queen war, aber viel fehlte nicht. Sie sah ähnlich aus, ihre Bewegungen hatten sich denen der Queen auch angeglichen, und nach dem Aufstehen ging sie nicht zu Britta hin, wie wir es angenommen hatten, nein, sie drehte sich, damit sie in unsere Richtung schauen konnte.
Es war klar, daß sie zu uns wollte.
Da der Bus ein wenig schwankte, blieb sie vorerst im Gang stehen und hielt sich mit beiden Händen an den Ecken der verschiedenen Sitze fest. Sie starrte nach vorn, und ihre Augen glichen kalten Kugeln. Das Lächeln auf den dünnen Lippen wirkte künstlich, und der Puder auf dem Gesicht hatte den Schweiß nicht halten können. So hatte sich eine verschmierte Schicht gebildet.
Sie stand und schaute.
»Die meint uns«, flüsterte Glenda.
»Kennst du sie näher?«
»Nein, John. Ich habe bisher mit ihr kein einziges Wort gewechselt. Aber sie scheint sich für uns zu interessieren.« Glenda lachte leise. »Das ist schon seltsam.«
»Jemand muß den Anfang machen«, gab ich leise zurück.
»Du siehst das locker, wie?«
»Im Augenblick noch.«
Die Frau trug ein ebenfalls leicht violettes und zu den Haaren passendes Kostüm. Darunter malte sich eine weiße Bluse ab, die zerknittert aussah. Die Lippen waren zu dunkel geschminkt, und vor ihrer Brust hing eine Brille. Das Gestell war an einem Lederband befestigt. Vom Alter her schätzte ich sie um die 70.
Die Frau wollte nicht mehr länger an ihrem Platz bleiben. Als der Bus noch einmal ruckte, nützte sie diese Vorwärtsbewegung aus und stieß sich ab. Mit unsicheren Schritten bewegte sich sich auf uns zu, von den anderen Fahrgästen nicht beachtet.
Wir rückten nicht zur Seite, um ihr Platz zu schaffen, aber sie sah auch nicht aus wie jemand, der sich setzen wollte: In Reichweite blieb sie stehen.
Scharf schaute sie mich an. Ja, mich und nicht auch Glenda. Sie konzentrierte sich auf mich. Ihr Blick war scharf, als wollte sie bis auf den Grund meiner Seele schauen.
»Wer sind Sie?«
»Ein Fahrgast.«
»Sie gehören nicht hierher.«
»Meinen Sie?«
»Ja.«
Ich setzte den Small talk fort. »Was macht Sie denn so sicher?«
Die Frau wollte antworten. Da der Bus jedoch ruckte, mußte sie erst einen neuen Halt finden. »Das sehe ich Ihnen an. Sie und Ihre Freundin da passen nicht zu uns. Sie wollen etwas. Sie haben etwas vor. Sie wollen uns stören, nicht?«
»Wobei denn?« fragte ich locker.
»Ich weiß es nicht genau. Aber ich spüre es.« Die Frau beugte sich vor. Ihr Gesicht kam näher, und es war für mich so etwas wie eine böse künstlich geglättete Fratze. Aus dem halb offenen Mund wehte mir der Atem entgegen, der leicht nach irgendeinem Schnaps roch, den sie während der Fahrt getrunken hatte.
Vor dem Fahrer erschien eine Linkskurve. Er lenkte den Bus hinein. Es geschah mit normaler Geschwindigkeit, und zugleich passierte alles ein wenig plötzlich. Zumindest für die Frau, die sich nicht mehr halten konnte. Sie verlor das Gleichgewicht, auch ein Nachfassen brachte nichts, und ohne es richtig zu wollen, streckte sie den Arm mit der gespreizten Hand aus. Ich saß zu dicht bei ihr und konnte nicht
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