1114 - Der Pestmönch
Kate Cameron und auch dieser Paula geschah, war nicht geplant. Die große Sache fängt heute an. Hier in diesem Raum.«
»In dem wir allein gegen die Meute stehen«, flüsterte Glenda.
»Manchmal haben Kaffeefahrten eben ihre Tücken.«
»Ich kenne bessere Witze, Geisterjäger.«
»Sorry.«
Es spielte keine Musik. Die machten sich die älteren Leute selbst, indem sie irgendwelche Lieder sangen, deren Texte und Melodien jeder kannte.
Aber ihre Bewegungen waren längst nicht mehr so schwungvoll wie zu Beginn. Hinzu kam, daß viele von ihnen die Drehungen nicht so recht vertragen konnten und mit Schwindelanfällen zu tun hatten. Zwei Frauen und ein Mann torkelten aus der Gruppe weg und waren froh, sich an einem Tisch abstützen zu können.
Über allem stand Lorenzo. Er war der Meister. Er fühlte sich wie ein Dirigent. Er klatschte in die Hände, und sein Lächeln wirkte dabei wie das Grinsen des Teufels. Hin und wieder wurden auch Glenda und ich durch seinen Blick erfaßt.
»Es fehlt noch Suko«, sagte sie. »Sollte er uns nicht Rückendeckung geben?«
»Ja, sollte er.«
»Und?«
»Du hast doch seinen Wagen gesehen.«
»Das nutzt uns nichts. Wo ist er selbst?«
»Glenda, ich habe keine Ahnung. Ich weiß nur, daß noch jemand fehlt. Britta ist weg. Auch wenn sie auf der Toilette oder in der Küche war, dann muß sie gehört haben, was hier abläuft. Es ist doch mehr als ungewöhnlich, daß sie sich nicht hat blicken lassen - oder?«
»Da gebe ich dir recht.«
Ich wunderte mich auch darüber, daß sich Lorenzo noch nicht um seine Partnerin gekümmert hatte.
Daß ihr Verschwinden normal sein sollte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Sie und Lorenzo gehörten einfach zusammen.
Der schon makaber anmutende Freudenausbruch der älteren Menschen endete. Nicht wenige hatten sich übernommen und waren erschöpft. Trotzdem hielten sie sich tapfer. Sie lächelten sich an, sie klatschten sich auch ab und schauten immer wieder zu Lorenzo oder auch zu Glenda und mir.
Aber dieses absurde Theater war längst nicht beendet. Lorenzo übernahm wieder die Regie. Sein Pult hatte er nicht verlassen. Er flüsterte seine Worte in das Mikrofon. Mir wurde für einen Moment die Sicht genommen, weil eine dünne, ziemlich große Frau mit struppigen Haaren an mir vorbeistrich und mich scharf angrinste. Sie war verschwitzt, das roch ich. Ebenso wie den Geruch ihres starken Parfüms. Als sie den Arm hob, um mich zu streicheln, wich ich aus.
»Du hast ihnen eine große Freude gemacht!« rief Lorenzo ins Mikrofon. »Ja, eine sehr, sehr große sogar, Sinclair…«
Er rieb seine Hände. »Jetzt wissen wir endlich, daß es möglich ist.«
Mein Blick war wieder frei. Lorenzo schien noch gewachsen zu sein. Er fühlte sich als der große Zampano. »Was ist möglich?« rief ich ihm zu.
»Der zweite Kopf, Sinclair!«
***
Es war für mich keine besonderer Überraschung. Ich hatte ihn schließlich bei Kate Cameron gesehen. Die älteren Menschen nicht. Sie warteten darauf und hatten sich bisher nur auf Lorenzos Erzählungen verlassen können.
Der eigentliche Zweck dieser kleinen Reise war natürlich nicht erfüllt worden. Es würde hier zu keiner Verkaufsveranstaltung kommen. Sie war nur vorgeschoben worden und sicherlich zur Ablenkung auch hin und wieder durchgeführt worden, aber die wahren Dinge lagen viel tiefer. Es ging um die Köpfe. Sie waren die wahre Veränderung. Sie bedeuteten so etwas wie eine zweite Chance für Menschen, die die längste Zeit des Lebens hinter sich hatten. Ich wußte nicht, wie Lorenzo es geschafft hatte und auch nicht, mit welcher Hilfe, doch er stand dicht vor dem Ziel und brauchte nur noch einen Schritt zu gehen, um die Linie zu überschreiten. Er hatte sie alle beisammen, und wie ich wußte, waren sie auch infiziert worden.
Ich erinnerte mich, daß er von Drinks gesprochen hatte. Nur waren mir die wahren Zusammenhänge noch unbekannt.
»Wir müssen mehr wissen«, flüsterte Glenda nahe an meinem Ohr. »Wir müssen ihn aus der Reserve locken.«
»Er wird von allein kommen.«
»Der zweite Kopf, Sinclair«, wiederholte er. »Hast du es nicht gehört? Er hat sich gebildet. Er hat sich in jedem Körper dieser netten Menschen hier aufgebaut. Wie bei dieser Kate Cameron. Bei Paula hat es leider nicht geklappt, da ist schon ein Teil vorher zerstört worden, aber Kate hat es erwischt.«
»Sollen alle so werden wie sie?«
»Ja!«
»Warum? Was willst du damit bezwecken?«
»Ihr neues Leben. Die neue
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