1116 - Der Hexenkelch
nicht hier so einfach liegenlassen. Wissen Sie, ob es auf der Insel einen Ort gibt, zu dem wir ihn bringen können?«
»Nicht auf den Friedhof. Ich nehme Justin mit nach London. Es gibt hier Schafställe. Sie stehen zwar leer, weil die Tiere auf der Weide sind, aber ich weiß nicht, ob die Besitzer erlauben werden, daß dort ein Toter hingebracht wird. Die Menschen hier sind schon seltsam. Das muß ich immer wieder betonen.«
»Dann bleibt er so lange hier.«
»Nein, nicht!« Alan Friedman hatte sich anders entschlossen. Er faßte mich hart an. »Wir nehmen ihn mit. Die Leute hier sollen endlich erkennen, was auf ihrer verdammten Insel los ist. Ja, wir werden ihn mitnehmen. Das ist das beste.«
»Gut, wenn Sie wollen.«
»Auch wenn der Weg beschwerlich ist, ich trage ihn.« Alan bückte sich. Er befand sich noch in der Bewegung, als wir das harte und häßliche Lachen hörten.
Blitzartig fuhren wir herum.
Sechs Augen weiteten sich, denn vor uns im Gang stand Alana, die Hexe!
***
Ohne ihren Kelch, aber mit dem Messer in der Hand, das ich bereits auf dem Film gesehen hatte.
Es war wie im Kino. Plötzlich setzte uns die Überraschung zu, und wir taten zunächst nichts, sondern schauten sie an. Darauf wartend, was sie vor hatte.
Sie brauchte unser Licht nicht, denn sie war von einem geheimnisvollen türkisfarbenen Leuchten umgeben. Trotz der Farbe war das Licht recht blaß, so daß ihre roten, langen und lockigen Haare ebenso gut zu erkennen waren wie das enge Kleid, das von einen sehr tiefen Ausschnitt hatte, und kaum ihre Brüste bedeckte.
So wie Alana aussah, war sie ein Vollblutweib. Eine Hexe wie aus dem Bilderbuch. So und nicht anders hatte man sich im Mittelalter die Verführerinnen vorgestellt. Schön und zugleich gefährlich.
Sie stand zu weit von uns entfernt, um erkennen zu können, ob sie lächelte oder nicht. Sie bewegte sich auch nicht. Sie glich einer Statue, und kein Windstoß fuhr gegen ihr Haar, das völlig ruhig ihren Kopf umgab.
Suko und ich blieben gelassen, im Gegensatz zu Alan Friedman, der heftig atmete.
Beinahe körperlich spürte ich seinen Haß auf Alana. Er stand auf dem Sprung. Wenn ich nicht aufpaßte, würde er losstürmen und die Hexe angreifen.
Ich hielt ihn sicherheitshalber fest.
»Verdammt, John, das ist die Chance. Tun Sie was. Sie sind der Experte.« Er drehte sich so heftig zu mir hin um, daß er gegen mich stieß. Ich geriet dabei ins Torkeln, doch es gab hinter mir nichts, woran ich mich hätte festhalten können.
Genau das hatte Alan gewollt. Meine Unsicherheit ausnützen. Bevor ich mich versah, hatte er schon zugegriffen. Seine Hände rutschten an meinem Körper entlang, und dann hatte er genau das gefunden, was er haben wollte.
Daß man mir die Beretta auf diese Art und Weise abnahm, war mir auch noch nicht passiert. Aber er hielt sie fest, sprang zurück, stieß mich mit der anderen Hand an, so daß ich gegen die Wand prallte und dabei mit dem Hinterkopf dagegenstieß.
Alan aber hatte freie Bahn.
Auch Suko schaffte es nicht, ihn aufzuhalten. Er kassierte noch einen Rundschlag des Mannes, der dann vorwärtsstürmte, genau auf die Hexe zu, die Beretta auf sie gerichtet…
***
Er war leider zu weit weg, um in zu stoppen. Suko hätte die Magie seines Stabes einsetzen können, doch er zögerte, denn Alan Friedman drückte ab.
Und das nicht nur einmal, sondern mehrmals hintereinander. Schießend und schreiend rannte er auf die finstere Banshee zu. Die Waffe ruckte in seinen Händen. Es war nicht einfach, ein stehendes Ziel im Laufen zu treffen, doch daran dachte er in diesem Augenblick nicht.
Und er traf!
Nur passierte nichts. Die Kugeln erwischten die Gestalt, aber sie schlugen hindurch. Es war deshalb so genau zu erkennen, weil sich beim Auftreffen ein kurzer Blitz zeigte.
Das Krachen der Schüsse, Alans Schreie und das Lachen der Hexe vereinten sich zu einer infernalischen Geräuschkulisse, die die Felswände zu sprengen drohte.
Alana hatte nichts getan. Sie zeigte sich durch die Spreizbewegungen ihrer Arme sogar amüsiert, aber es dauerte nicht ewig. Plötzlich duckte sie sich und kam im nächsten Moment vor. Sie rannte genau auf Alan Friedman zu, der nicht mehr ausweichen und auch nicht stoppen konnte, weil die Distanz schon zu gering geworden war.
Da griff Suko ein.
Er schrie das Wort.
»Topar!«
Und alles änderte sich…
***
Nein, nicht alles. Zwar konnten Friedman und ich uns nicht mehr bewegen, der Hexe allerdings hatte der Ruf nichts
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