1116 - Der Hexenkelch
Christopher Lee seine Bräute.
Wir waren froh, die verdammte Höhle verlassen zu können. Und der Rückweg kam uns auch schneller vor. Die Hexe zeigte sich nicht mehr, aber für immer verschwunden war sie nicht. Eine wie sie lauerte nur auf eine günstige Gelegenheit…
***
Woher die Menschen so schnell gekommen waren, wußten wir auch nicht. Jedenfalls waren sie da, als wir den kleinen Ort am Meer erreichten, dessen Häuser an der Hafenmole standen und ebenso verwittert aussahen wie die Felsen im Hintergrund.
Das Wetter war so warm und voller Sonnenschein geblieben. Die Vögel tanzten am Himmel. Wolken segelten wie helle Pinselstriche unter dem Blau hinweg. Ein Flugzeug verlor sich in den unendlichen Weiten wie ein schimmernder Stern. Das Wasser rauschte gegen den kleinen Hafen an, doch es waren lange und ruhige Wellen. Eine weite Dünung trieb als Teppich herbei. Es gab keinen Sturm, der die Wellen verändert und hochgetürmt hätte.
Ein Sommertag wie im Bilderbuch und trotzdem düster.
Diese Umgebung hatte zumindest für mich ihr sommerliches Flair verloren. Das konnte an den Menschen liegen, die uns anschwiegen und dabei eine Gasse gebildet hatten. Frauen, Männer und auch Kinder, die von ihren Müttern festgehalten wurden.
Suko trug den Toten. Er lag wieder über seinen Armen. Auf dem Weg hierher hatte er ihn zwischenzeitlich über die Schulter gelegt. Jetzt sah es aus, als wollte er ihn den Menschen auf dem Tablett präsentieren.
Die Gesichter der Zuschauer waren starr. Kein Lächeln, kein Funkeln der Augen, so gut wie keine Reaktionen, die uns auffielen. Ein stummes Starren, trotzdem irgendwie beredt, als wollten sie uns mitteilen, daß wir uns auf der falschen Seite des Wegs befanden.
Ich wich den Blicken nicht aus. Ich schaute hin. Und es waren die Frauen, die dann wegblickten, als fühlten sie sich schuldig.
Nicht so die Männer.. Sie hielten meinen Blicken stand. Erwiderten sie. Nur kamen sie mir feindlich vor. So wie sie schaute man Eindringlinge an, die man am liebsten wieder fortgejagt hätte.
Es waren eben unterschiedliche Welten, die das Leben so präsentierte. Auf der einen Seite diese kleine Insel, die wie ins Gestern zurückgeschoben wirkte, auf der anderen Seite gab es Städte wie Berlin, in denen die Love Parade gefeiert wurde, die verrückteste und größte Party dieser Art auf der Welt. Extremer konnte es nicht sein.
Keiner sprach uns an. Wir hörten das Flüstern der Stimmen. Das jedoch galt nicht uns, sondern den Menschen, die untereinander redeten. Sie waren eine Gemeinschaft. Hier kannte jeder jeden, wir aber waren als Fremdkörper eingedrungen.
Ich wollte nicht mehr weiter gehen. Auch Suko hatte etwas dagegen. Mit einem Blick machte er mir das klar. So blieben wir stehen, und Suko legte den Toten zu Boden.
Auch jetzt tat niemand etwas. Wir hörten keinen Kommentar. Nur Alan Friedman sprach leise.
»Dabei haben sie ihn gekannt«, sagte er mit belegter Stimme. »Sie haben Justin Corner ebenso gekannt wie mich. Was sie jetzt tun, das ist alles nur Schauspielerei. Ich weiß es doch. Da kenne ich mich aus. Aber sie haben Angst. Sie haben alle Angst vor der Hexe. Nur geben sie es nicht zu. Nie würden sie das zugeben. Einem Fremden gegenüber schon gar nicht. Sie werden es sehen, John.«
Ich nahm seinen Kommentar zur Kenntnis, ohne etwas darauf zu erwidern. Suko, der den Toten auf den Boden gelegt hatte, wandte sich an die Bewohner. »Sie haben gesehen, wen ich hier hergebracht habe. Der Mann ist tot, und ich denke, daß auch Sie ihn kennen, obwohl er nicht hier auf der Insel gelebt hat. Ist das so? Kennen Sie ihn? Haben Sie ihn schon einmal gesehen?«
Die Menschen schwiegen.
Neben uns lachte Alan Friedman wütende auf. »Natürlich kennt ihr ihn!« rief er gegen die reglosen Gesichter. »Ihr kennt ihn. Ihr kennt ihn ebenso wie mich. Wir waren hier. Wir haben euch doch gesehen. Ich kann mich an eure Gesichter gut erinnern, das steht fest. Aber ihr wollt es nicht. Ich kenne das Spiel. Es ist die Angst, die euch in den Klauen hält. Die Angst vor der Hexe. Vor der finsteren Banshee Alana, gegen die ihr nicht den Hauch einer Chance habt, weil ihr so feige seid und euch beeindrucken laßt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber so etwas geht nicht immer gut, verdammt. Nein, ihr könnt euch nicht ständig raushalten. Alana ist stark, und sie wird das durchziehen, was sie schon immer durchziehen wollte. Da kennt sie kein Pardon. Noch ist es Zeit. Es hat erst den einen Toten gegeben, aber
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