1121 - Wenn Totenmasken leben...
Mensch ist neugierig. Das ist ihm angeboren. Hast du dich denn niemals gefragt, was sich in den Paketen befinden könnte?«
Sean wurde wütend über sich selbst, weil er ausgerechnet jetzt einen roten Kopf bekam.
»Ich habe also recht?« erkundigte sich die Juffi lächelnd.
»Ja, das ist richtig.«
»Neugierde kann oft schlimm sein. Sie kann brennen, und sie kann einen Menschen ausbrennen. Ich an deiner Stelle wäre es auch gewesen, das will ich dir sagen, aber du hast immer widerstanden, die Pakete heimlich zu öffnen, um nachzuschauen. Ist das so?«
»Ja.« Sein Kopf war weiterhin rot, und er ärgerte sich noch mehr darüber.
»Bis auf heute, nicht wahr?«
Er senkte den Blick. Er hatte geahnt, was kommen würde. Er hatte es gespürt. Er wusste darüber Bescheid, wie hinterlistig sie war. Er hatte genau gesehen, mit welch einem Blick sie das Paket gestreift hatte, und er musste ihr leider recht geben. Er hatte tatsächlich versucht, einen Blick hineinzuwerfen und war enttäuscht gewesen, weil er den Inhalt nicht genau erkannt hatte.
Er hatte dann versucht, das Paket wieder so zu verschnüren wie es gewesen war. Nur war ihm das nicht gelungen. Das Band saß einfach zu locker, und das Packpapier war auch an einigen Stellen noch leicht eingerissen.
Jolanda legte die rechte Hand auf das Paket. Sie stand jetzt da wie eine Richterin. »Du hast es also geöffnet, Sean?«
»Ja, das habe ich!« Er gab es zähneknirschend zu, weil er wusste, dass es keinen Sinn hatte, sie anzulügen. Diese Person fühlte sich dann an der Nase herumgeführt. Sie wusste einfach mehr, denn sie besaß den verdammt sicheren Blick.
»Das ist schade«, sagte sie leise.
»Bitte, Madam, ich habe es versucht. Aber ich habe nichts richtig gesehen. Ich weiß wirklich nicht, was man Ihnen geschickt hat.«
»Trotzdem ist es schade.«
»Wieso denn?«
»Um dich, mein Freund.« Sie nahm die Hand wieder weg. »Es gibt ein Briefgeheimnis, und einen Verstoß dagegen kann ich nicht akzeptieren.«
»Aber ich habe es nicht geöffnet.« Er war durcheinander. »Ja, ich habe es versucht, nur nicht sehen können…«
»Du hast dich immer gefragt, was diese Alte wohl bestellt, dass sie so oft beliefert wird.«
»Nein… ja …«
»Ich glaube dir nicht.«
Sean Angst war einer gewissen Verzweiflung gewichen. Diese Frau konnte ihm beruflich ein Bein stellen. Wenn sie seinen Vorgesetzten meldete, was er getan hatte, dann war er seinen Job los, und so fragte er sie direkt: »Wollen Sie mich anschwärzen?«
»Nein, das werde ich nicht tun!« lautete die spontane Antwort.
Sean atmete auf. Lange konnte er sich jedoch nicht über diese Antwort freuen, denn Jolanda sagte mit emotionsloser Stimme: »Ich werde dich dafür bestrafen müssen.«
Der Briefträger war durcheinander. Er wollte es nicht glauben und ging einen Schritt zurück. Als er sprach, stotterte er. »Was… wie … warum? Ich habe doch nichts getan. Das … das … ist nicht schlimm gewesen. Wie können Sie nur so etwas sagen?«
Jolanda Juffi zeigte ein kaltes Lächeln. »Du hast leider mein Vertrauen missbraucht. Ich bin nicht irgendwer, glaube das nicht. Ich weiß nicht, was du gesehen hast, aber ich möchte nicht, dass man über mich redet. Ich weiß selbst, dass über mich gesprochen wird, aber bestimmte Dinge dürfen nicht passieren. Man will nicht, dass etwas ans Tageslicht kommt.«
»Wer will das nicht?« flüsterte der Briefträger.
»Hast du nicht das Klagen gehört?«
Diese einfache Frage verursachte bei Sean ein kaltes beklemmendes Gefühl. Die Frau brauchte nicht näher auf gewisse Dinge einzugehen, er wusste sehr deutlich Bescheid. Ungern erinnerte er sich an die klagenden Stimmen. An all das Jammern, das von irgendwoher an seine Ohren gedrungen war. Noch im Nachhinein bekam er eine Gänsehaut. Er war nicht in der Lage, gewisse Dinge zu begreifen.
Die Angst kehrte zurück. Dieses verdammte Haus war ihm unheimlich. Hier braute sich einiges zusammen. Hier wurden Vorgänge von Kräften unterstützt, über die er sich nie zuvor Gedanken gemacht hatte. Und eine Zentrale war Jolanda Juffi, die Person, die eine kleine Pension am Rande des Ortes betrieb und von einigen Menschen gemieden wurde, weil sie ihnen nicht geheuer war.
Sean hatte nie über sie nachgedacht. Er hatte sie immer hingenommen, aber, das musste er auch zugeben, er hatte in all den Jahren immer ein ungutes Gefühl gehabt, wenn er ihr Haus erreicht hatte, das er an diesem Tag zum erstenmal richtig betreten hatte.
In
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