1127 - Der Gothic-Vampir
wies mehr auf das Wesen hin, das vor kurzem noch durch die Luft gesegelt war.
Neben der Felswand stand jetzt ein Mensch!
Einer, der noch immer unter der Verwandlung litt und mit aufgerissenem Mund laut keuchte. Doch diese Geräusche hörten sich nicht mehr erschöpft an, jetzt klangen sie anders. In ihnen lag eine gewisse Drohung, und die war einfach nicht zu überhören. Da glichen Sie schon einer bestimmten Sprache, die von Menschen nur rein akustisch verstanden wurde. Unheimlich hörten sich die Geräusche an, bevor sie in der stockdunklen Nacht versickerten.
Ein Mensch war da!
Einer, der die grauen Haare so lang wie eine Frau trug, dessen Gesicht auf Grund seiner Blässe von der Felswand und der übrigen Dunkelheit abstach. Es hielt sich ein bösartiges Individuum nahe der Felsen auf, das trotz der nächtlichen Kühle nicht fror. Hochgewachsen, die Schultern hochgezogen, doch den Kopf leicht nach vorn gestreckt wie jemand, der wittert.
Lange Arme. Große Hände mit langen Fingern. Ein Gesicht mit dunklen Augen, breiten Lippen und einer hohen Stirn. Der Körper drehte sich zur Seite, und der Kopf machte die Bewegung automatisch mit. So konnte der Mann auch in die Höhe blicken, und er suchte den Vollmond, der sich in der Schwärze abmalte.
Ihm drehte der Veränderte sein Gesicht zu. Hatten die Züge vorhin noch eine starke Anspannung gezeichnet, so verschwand diese allmählich. Der Ausdruck änderte sich nicht nur, er kehrte sich um in das glatte Gegenteil. So etwas wie Freude und Zufriedenheit zeichneten die Züge, und die Gestalt sah aus wie jemand, der das Licht des Mondes trinken oder in sich einsaugen wollte.
Die Lippen zogen sich zu einem Lächeln in die Breite, und die Gestalt fletschte die Zähne.
Zähne?
Ja, sie waren da. Sie sahen ebenfalls grau aus, aber sie besaßen rechts und links der Schneidezähne auch zwei Besonderheiten.
Auch die sehr lange Zeit hatte ihnen nichts anhaben können, denn nach wie vor sahen sie kräftig aus und waren durch ihre Länge und durch die Spitzen die Wahrzeichen eines Vampirs.
Der nackte Blutsauger öffnete den Mund. Dabei zuckte sein Körper wie von Stromstößen geschüttelt. Genau diese Bewegungen waren die Begleiter für sein wildes, unkontrolliertes und triumphierendes Lachen, das der Vampir in die Finsternis der Nacht schickte…
***
Der Abbé war ein Mann, den ich praktisch zu jeder Tages und Nachtstunde erreichen konnte. Er war – wie man so schön sagt – immer im Dienst. Tatsächlich wachten seine Templer rund um die Uhr.
Sie hatten sich in Alet-les-Bains ein kleines Refugium geschaffen, von dem aus sie ihre Fäden zogen.
Im Prinzip galt ihr Kampf einem Dämon namens Baphomet. Einem Teufel mit Karfunkelaugen, der bei der Zerschlagung des Ordens im hohen Mittelalter eine wichtige Rolle gespielt hatte, denn nicht wenige Templer hatten von ihm Hilfe erhofft und sich auf seine Seite geschlagen. Sie waren praktisch Partner des Bösen und der Hölle geworden und hatten somit ihre alten Überzeugungen verraten.
Der Kampf war nie beendet worden. Zwar hatte er mal pausiert, aber er war dann immer wieder offen ausgebrochen. In den letzten Jahren hatte sich dies noch verstärkt.
Die Templer-Gruppe um Baphomet war nicht eben klein und auf der gesamten Welt verteilt. Genau dagegen wollten der Abbé und seine Freunde ein Bollwerk bilden. Ihre Zentrale lag im südlichen Frankreich, eben in Alet-les-Bains.
Sie waren stets auf der Wacht. Sie lagen auf der Lauer, und sie verließen auch den Ort, um gegen die Baphomet-Diener zu kämpfen.
Bisher hatte keine Seite einen endgültigen Sieg erringen können, und auch mir war es nicht gelungen, Baphomet zu töten.
Ich besaß eine besondere Verbindung zu den Templern, denn es war nicht mein erstes Leben, das ich führte. Ich hatte schon mehrmals gelebt, unter anderem in den zwei Jahrtausenden nach Christi als Richard Löwenherz und Jahrhunderte später als Hector de Valois, ein Templer und Feind der Hölle.
Er war ein Mensch gewesen, der auch noch im Tod nicht richtig hatte Sterben können. So war sein Skelett schließlich aus dem normalen Grab hervorgeholt worden, um in der Kathedrale der Angst aufbewahrt zu werden, einer sehr engen Schlucht, die in eine mächtige Felswand nahe der Stadt Alet-les-Bains lag.
Aber jetzt gab es auch das Skelett nicht mehr. Als silberner Knochenmensch hatte es sein »Grab« verlassen und war mir dann zu Hilfe gekommen, als ich vor der Bundeslade gestanden und nicht gewußt hatte, ob
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