1128 - Erbe des Fluchs
stehen, streckte die Arme vor und legte seine Hände auf ihre Schultern.
Suzanne schloß die Augen. Es war eine instinktive Geste, die möglicherweise eine Flucht bedeuten sollte, es aber nicht sein konnte.
Nicht einmal eine Flucht nach innen, denn er war bei ihr sowohl körperlich als auch seelisch präsent.
»Sieh mich an!«
Es war ein Befehl. Suzanne konnte ihm nicht widerstehen. So öffnete sie die Augen und sah sein Gesicht direkt vor sich. Sehr nahe waren sie sich. Sie sah ihn nicht nur, sie spürte ihn auch, und von ihm ging etwas Böses aus. Mit einer kurzen Kopfbewegung schleuderte er seine rote Kapuze zurück, und jetzt sah sie das graue Haar, das bis auf seine Schultern fiel. Die scharfen Gesichtszüge waren die gleichen geblieben, die Augen ebenfalls. Die Faszination war geblieben, doch Suzanne verfiel ihm nicht mehr. Plötzlich dachte sie so normal wie jeder andere Mensch. Die Faszination hatte sich in eine beklemmende Furcht verwandelt.
Er zeigte seine Zähne, und er sprach dabei auch. »Du wirst hier auf dem Thron zu meiner Braut werden, Suzanne.«
Sie schüttelte den Kopf und schloß die Augen.
»Doch, es gibt keinen Ausweg für dich. Ich habe es beschlossen, und alle anderen werden unsere Trauzeugen und auch Zuschauer sein. Du bist für mich die Schönste und zugleich der Wiederanfang.«
Er berührte jetzt ihr Kinn.
Mit einem leichten Ruck hob er ihren Kopf an. Sie öffnete die Augen.
»Hast du gehört, Suzanne?«
»Ich will nicht!«
»Du mußt!« flüsterte er ihr ins Gesicht. »Es gibt für dich keine andere Möglichkeit mehr.«
»Nein, ich… ich … kann nicht.«
Blitzschnell griff er mit der rechten Hand zu. Kinn und beide Wangen wurden von den irgendwie tot wirkenden Fingern berührt, und mit hartem Griff zog er sie zu sich heran. Suzanne wurde hochgezogen, stand schließlich und wurde von dem Blutsauger festgehalten.
Seine Hände umfaßten jetzt ihre Ellenbogen.
Er brachte seine Lippen dicht an ihr rechtes Ohr. Zugleich drückte er sie herum. »Schau genau zu, meine Liebe. Sieh immer her. Ich habe dir vorhin von den anderen erzählt, die unserer Hochzeit beiwohnen wollen. Sie werden es auch tun, denn sie wollen nicht mehr länger in der Tiefe der Dunkelheit vergraben sein. Sie kommen…«, eine kurze Kunstpause, »jetzt!«
Was all die Zeit unter der Erde verborgen gewesen war, bekam nun den Drang ins Freie.
Die Gräber auf dem alten Burghof öffneten sich…
***
Das war nicht nur wie im Horrorfilm, nein, das war schlimmer. Zumindest für Suzanne, die Zuschauerin.
Die Erde brach auf!
Nicht wie bei dem Ausbruch eines Vulkans oder eines Geysirs.
Hier lief alles langsamer ab. Was dort unten so lange gelegen hatte, kroch nun unter Anstrengungen und großen Mühseligkeiten wieder ins Freie. Es war tot und trotzdem nicht tot. Irgendwie lebte es, und der Schein des Feuers geisterte darüber hinweg.
Suzannes Blick fiel auf zwei unheimliche Gestalten, die ihre alten Gräber verließen.
Sie krochen heraus. Die Erde war von unten her aufgestoßen worden. Kleine Steine rollten zur Seite. Ein Stück Fels oder Mauer lockerte sich dabei, blieb jedoch stehen, was die aus dem Boden kriechende Gestalt ausnutzte, denn sie streckte einen Arm in die Höhe und schaffte es, den oberen Rand des Mauerstücks zu umklammern.
Daran zog sie sich hoch!
Ein Windstoß drückte die in der Nähe stehende Flamme auf die Gestalt zu. Suzanne stockte der Atem, als sie die Gestalt genauer sah.
Die langen Jahre im Grab hatten ihre Spuren hinterlassen, doch dieser weibliche Vampir war nicht verwest. Aus der Erde war eine bleiche, mit alten Stoffetzen bedeckte Gestalt hervorgekrochen. Mit schmutzigen Haaren, mit dreckverschmiertem Gesicht, aber auch versehen mit dem Drang zu töten, und Blut zu trinken.
Den Mund hielt diese Braut nicht geschlossen. Über die Unterlippe rollten kleine Lehmklumpen hinweg und fielen vor den Füßen zu Boden. Die verfilzten Haare hingen bis in die Stirn und auch über die Augen hinweg. Die Gestalt hatte jetzt das Grab verlassen. Erde rollte wieder zurück, sie blieb stehen und drehte sich. Dabei geriet der untere Teil ihres Gesichts noch deutlicher in den Widerschein des Feuers hinein. So war der Mund sehr gut zu erkennen, aus dem die beiden spitzen Blutzähne wuchsen. Sie warteten darauf, sich endlich in Fleisch schlagen zu können, um danach das warme Blut zu schlürfen.
Eine zweite Gestalt kam von der Seite und ging mit tappenden Schritten in die Nähe des Throns, als
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