1128 - Erbe des Fluchs
wollte sie ihren Herrn und Meister begrüßen.
Der Vampir hielt Suzanne noch immer fest.
»Es sind zwei meiner Bräute. Sie sehen nicht mehr so schön aus wie damals, aber sie haben nichts vergessen, und ich werde dafür sorgen, daß sie wieder aufblühen können. Es ist der Lauf der Dinge. Ich habe nichts verlernt. Derjenige, der mich jagte, ist tot, ich aber bin noch da, und die heutige Nacht wird für mich zu einem Riesenfest, zu einem perfekten Blutfest.«
Suzanne sagte nichts. Durch ihren Kopf jagten die Gedanken. Das darf nicht wahr sein! Das ist unmöglich! Das ist nicht die Wirklichkeit…
Es war trotzdem real.
Nicht nur der Druck der Hände an ihren beiden Ellenbogen. Sie nahm auch den Geruch wahr, der ihr von diesen beiden schrecklichen Gestalten entgegenwehte.
Es war der Gestank nach Grab und Verwesung. Nach altem Fleisch, von Würmern und Maden zerfressen.
Aber nicht nur vor ihr waren die blutleeren Gestalten aus den Gräbern gekrochen. Die gleichen Geräusche hörte sie auch hinter ihrem Rücken und von der Seite her.
Das Erraten von Gedanken schien Montfour leichtzufallen, denn er sagte: »Sie sind alle gekommen. Sie alle haben meine Rückkehr gespürt, und sie alle wußten, daß nun der Zeitpunkt reif war, die Dunkelheit zu verlassen. Sie wollen zuschauen. Sie sind unsere Trauzeugen. Sie freuen sich darüber, wenn sie sehen, daß ich mir eine weitere Braut hole.«
Suzanne schwieg. Sie hatte alles gehört und gesehen, und sie war auch in der Lage, ihre eigene Situation einzuschätzen. Nicht alle Blutsaugerinnen hatten ihre Gräber verlassen. Einige krochen noch heraus.
Sie kamen…
Sie stöhnten.
Erste Laute überhaupt, und dieses Stöhnen war für Suzanne wie ein Startschuß.
In den letzten Sekunden war der Griff des Untoten nicht mehr so hart gewesen. Suzanne nutzte es aus. Sie half sich mit den einfachsten Mitteln. Beide Arme winkelte sie an und rammte sie nach hinten.
Die Ellbogen trafen auf Widerstand. Montfour wurde überrascht. Er kippte zurück.
Sie hörte den Fluch.
Suzanne Petit floh!
***
Möglicherweise hatte es früher einmal einen direkten Weg zur Burg oder auch zur Ruine gegeben. Das stimmte heute nicht mehr, denn jetzt war alles zugewachsen, überwuchert, auch sehr steinig.
Hier also hatte sich Johnny herumgetrieben, dachte ich. Glücklicherweise vor einigen Tagen. Hier wäre er mitten in eine Hölle hineingesprungen.
Godwin de Salier war alles andere als entspannt. Leicht verkrampft saß er neben mir. Die Armbrust hatte er auf sein Knie gelegt.
Wir wußten nicht, was Jacques Montfour vorhatte. Klar, er würde sich das Blut der Suzanne Petit nehmen, aber warum in dieser Umgebung? Weshalb machte er es so kompliziert? Auf dem Bauernhof hätte er es einfacher haben können.
Für mich lag auf der Hand, daß er bestimmte Pläne hatte.
Ich hielt den Wagen neben einem Hang an, in den sich einige Büsche gekrallt hatten.
»Gut«, lobte mich Godwin.
»Was ist gut?«
»Daß wir den Rest zu Fuß gehen werden.«
»So fallen wir nicht auf.«
Den Clio hatten wir verlassen, aber es ging nicht schnell weiter, denn Godwin hielt mich an der Schulter zurück. »Nur nicht so eilig, John… Wir sollten uns trennen.«
»Nicht schlecht. Hast du dir auch vorgestellt, wie die Dinge dann laufen könnten?«
»Ja, das denke ich schon.« Er beugte sich nahe an mich heran. Die Augen glänzten wie im Fieber. Es war das Jagdfieber. Danach flüsterte er mir seinen Plan zu…
***
Es ging alles sehr schnell. Zumindest hoffte Suzanne, daß die Dinge so ablaufen würden, wie sie es sich in den folgenden Sekunden vorgestellt hatte. Von Montfour zumindest hatte sie sich befreien können. Damit war der Weg nach vorn frei.
Sie wußte nicht, wie schnell er war. Da mußte sich Suzanne auf sich selbst verlassen, und sie würde alles an Kraft einsetzen, um dem Horror zu entwischen.
Suzanne lief in die Lücke zwischen zwei Feuerschalen hinein, und erst als sie die passiert hatte, hörte sie die Reaktion des Blutsaugers.
Er schrie etwas. Hastige Worte, die Suzanne nicht verstand.
Sie mußte versuchen, die dunklen Stellen auf dem alten Burghof zu erreichen. Erst dann konnte sie einen richtigen Fluchtweg suchen.
Die Worte des Wiedergängers waren nicht erfolglos geblieben. Sie hatten seinen Bräuten gegolten, die es gewohnt waren, von ihm Befehle entgegenzunehmen.
Eine drehte sich um.
Suzanne war mitten im Lauf. Sie konnte nicht mehr ausweichen, auf einmal sah sie die Gestalt dicht vor sich, und
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