1130 - Zombieville
griff Wladimir nicht in den Koffer, sondern in seine Innentasche. Er hatte die Fotos in einen Umschlag gesteckt, der schon geöffnet war. So konnte er sie auf den Tisch gleiten lassen.
Suko und ich schauten uns die Aufnahmen an. Es waren Farbbilder, aber sie kamen mir so grau und trist vor wie Schwarzweißfotos. Das lag an der Umgebung, die alles andere ausstrahlte, nur keine Freundlichkeit. Hier konnte selbst eine Sonne nicht viel helfen.
Graue, barackenähnliche Bauten. Wege dazwischen. Zäune. Stacheldraht. Zombieville sah aus wie ein Freiluft-Knast, der irgendwann in Vergessenheit geraten war. Zwischen den unregelmäßigen Pflastersteinen wuchs Unkraut hervor.
Die Bilder waren willkürlich geschossen worden. Auch ein paar Bäume fielen uns ins Auge. Erst auf dem letzten Bild war ein Zombie zu sehen.
Ich schaute es mir genauer an. Die Gestalt stand nahe einer Hausmauer und hielt einen Eimer in der Hand. Die Finger hatte sie um den Griff geklammert. Das Gesicht ähnelte dem der Gestalt, die Suko mit der Peitsche vernichtet hatte.
Ich drehte Suko mein Gesicht zu. »Hast du auch einen lebenden Toten auf dem Bild?«
»Ja, eine Frau.«
»Gib her.«
Wir tauschten die Bilder. Die Frau war älter. Sehr klein auch. Sie war barfuß und trug einen Kittel.
Haare lagen flach auf ihrem Kopf. Lippen waren kaum zu sehen, weil sie einen sehr verkniffenen Mund besaß. Ihre gekrümmte Nase stieß gegen die Oberlippe.
»Eine Oma«, sagte ich.
»Nein, John, du irrst, keine Oma.«
Ich blickte zu Karina. »Klar, du bist ja schon dort gewesen. Hast du sie erlebt?«
»Ja und noch mehr.«
»Was denn?«
Sie blies ihren Atem über den kleinen Tisch hinweg. »Ich habe auch so etwas wie einen Anführer gesehen. Einen riesigen Kerl, bei dem mir Frankensteins Monster in den Sinn kam.«
»Ich denke, meine Liebe, du solltest uns etwas mehr von deinen Erlebnissen erzählen.«
Karina warf Wladimir einen fragenden Blick zu. »Haben wir Zeit genug.«
»Klar. In dieser Nacht passiert sowieso nicht mehr viel. Es geht erst morgen weiter. Und Wodka ist auch noch da…«
»Dann nehme ich noch einen Schluck.« Es war sogar ein kräftiger. Sie stellte die Flasche wieder auf den Tisch, konzentrierte sich und begann zu erzählen…
***
Karinas Erlebnisse
Sie wußte es selbst nicht, was sie davon halten sollte, als sie von Wladimir Golenkow den Auftrag bekommen hatte, sich in die Nähe von Zombieville zu wagen und sich dort umzuschauen. Es war ein Geheimauftrag. Karina hatte mit keinem anderen Menschen darüber gesprochen. Sie hatte auch Umwege in Kauf genommen, um sich dem Ziel zu nähern.
Sie war mit der Bahn gefahren und mitten in der Taiga an einer kleinen Station ausgestiegen. Zum Glück hatten die Vorbereitungen geklappt, denn dort stand für sie ein alter Volvo bereit, der sie auf den restlichen 500 Kilometern begleiten sollte. Der Mann, der den Wagen bewachte, war ein Georgier, ein düsterer Typ mit Rauschebart, aber auch ein Kontaktmann von Golenkow.
Es war noch früh am Morgen, als Karina das Fahrzeug übernahm. »Ist der Tank voll?«
»Bis zum Rand.«
»Sehr gut.«
»Im Kofferraum liegen noch zwei Kanister mit Reserve-Benzin. Damit kommen Sie weit.«
»Das muß ich auch.«
»Ihr Problem.« Der Georgier hielt seine Hand auf und bekam von Karina einen zugeklebten Umschlag überreicht.
»Das Geschenk von Wladimir«, sagte sie.
Der Georgier verneigte sich. »Danke sehr. Ich brauche nicht nachzuzählen. Er hat mich noch nie betrogen.«
»Das würde er auch nie tun, Towarischtsch.«
Nach diesen Worten war alles gesagt. Der Georgier ging auf die Bahnhofskneipe zu, und Karina stieg in den Volvo. Er war einmal schwarz lackiert worden, davon war jedoch nicht mehr viel zu sehen. Staub und Steinschlag hatten nicht nur am Lack gekratzt, sie hatten auch einige Beulen hinterlassen.
Diese Äußerlichkeiten waren für Karina unwichtig. Ihr kam es darauf an, daß das Innenleben in Ordnung war. Der Motor hörte sich gut an, und auch die Auspuffanlage war noch okay, ebenso die Reifen. Ein Volvo ist schon immer zuverlässig gewesen, und Karina war davon überzeugt, daß sie auf der langen und öden Strecke mit dem Wagen keine Probleme bekommen würde.
Lang und öde waren die richtigen Begriffe. Es gab keine Autobahn, die die Gegend durchschnitt, auch keine Schnellstraßen. Sie mußte sich schon mit dem zufriedengeben, was ihr das Land bot.
Das waren nun mal keine optimalen Verkehrswege wie in der Nähe von Moskau oder auch St.
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