1136 - Das Blut der Bernadette
gegeben hätten. Daran war nicht mehr zu denken, und deshalb kümmerte sich mich um etwas, das ebenfalls wichtig war.
Daß sie im Heim vom Treffen mit mir berichteten, konnte ich nicht ausschließen. Es war auch recht unwichtig, denn nun galt es, sich um andere Dinge zu kümmern. Wichtig war das Grab mit dem Todesengel.
Im Heim hielt sich Jane Collins mit Polly Clark auf. Möglicherweise schafften sie es, den Fall von einer anderen Seite aufzurollen. Wie ich Jane kannte, hatte sie bestimmt mit dieser Bernadette Kontakt bekommen.
Ich schaute den Mädchen noch nach, um zu sehen, welchen Weg sie gingen. Es gab nicht nur vorn am Haus eine Tür, sondern auch an der Seite. Ich hörte sogar, wie sie geöffnet wurde, weil das leise Quietschen die Stille unterbrach.
Dann fiel die Tür zu.
Es wurde wieder still.
Am und im Haus rührte sich nichts. Der alte Bau und das gesamte Gelände schien unter dem Zauber eines Mächtigen zu stehen, der es geschafft hatte, die Zeit anzuhalten.
Das Grab hatte ich mit ein paar Schritten erreicht, und ich blieb am Fußende stehen. Diesmal hörte ich nicht das Geräusch des aufklatschenden Blutes, aber der Geruch war vorhanden. Er schwebte über dem Grab und schien aus der dunklen Erde zu steigen, wobei die mächtige Figur ihn ebenfalls abgab.
Auch von dieser Entfernung waren die nach außen und mit Blut gefüllten Adern zu sehen. Sie verteilten sich wie aus der Gestalt gekrochene Würmer über ihr. Sie strahlten nicht von innen her, trotzdem waren sie deutlich zu sehen.
Das Blut floß!
Es rann durch die neuen Adern wie von einem mächtigen Motor angetrieben. Die Adern blieben dabei nicht ruhig. Sie zuckten, sie dehnten sich aus. Ich konnte mir gut vorstellen, daß das Blut schneller und schneller floß.
Das Begießen des Grabes mit dem menschlichen Lebenssaft hatte nur einen Grund. Der Engel sollte gestärkt werden. Ein schwarzer Engel, der einer lebenden Person nachgeformt worden war. Ich war davon überzeugt, daß die Gründerin Bernadette so ausgesehen hatte wie diese Figur. Daß ihr Tod nicht hingenommen werden sollte und man mit allen Mitteln versuchte, dies zu ändern.
An der linken Grabseite ging ich entlang, um mir die Figur noch einmal genau anzuschauen. Ich wollte es nicht hinnehmen, daß der Schöpfung ins Handwerk gepfuscht wurde. Mit Zombies oder zombieähnlichen Wesen hatte ich leider schon genügend böse Erfahrungen machen müssen.
Dicht neben der Figur blieb ich stehen. Der Blutgeruch war etwas stärker geworden. Ich sah genau, wie es durch die Adern floß, und mir kroch es kalt den Rücken hinab. Dieses Grab und auch die Figur wurden mit menschlichem Blut begossen. Man hatte mir nicht gesagt, woher es stammte, doch ich war in der Lage, mir meine eigenen Gedanken zu machen.
Es gab Spender.
Genügend sogar.
Mädchen, Schülerinnen. Junge Menschen, die dankbar sein mußten, daß sie aufgenommen worden waren, und ihre Dankbarkeit nun auf diese Art und Weise bewiesen, indem sie ihr Blut abgaben.
Das war der pure Wahnsinn, aber zugleich ein satanischer Plan, um etwas längst Verstorbenes wieder auf irgendeine Art und Weise lebendig zu machen.
Bis jetzt konnte ich davon ausgehen, daß man mich noch nicht entdeckt hatte. Ich wollte auch nicht, daß es sich änderte. Auf der anderen Seite mußte ich die Grabfigur untersuchen. Im Dunkeln war das einfach schlecht durchzuführen, deshalb holte ich meine Lampe hervor, schaltete sie ein und schützte den Lichtkegel noch mit der Hand.
Einen Teil der Helligkeit ließ ich über das schräg gelegte Gesicht gleiten.
Der größte Teil bestand aus Stein. Leben gab es darin nicht. Aber es zeichneten sich die Wülste ab, denn die Adern hatte sich aus dem Gestein heraus nach oben gedrückt, und das Blut floß in diesen seltsamen Schläuchen wie Wasser. Nur war die Flüssigkeit dicker, so daß es nicht ganz so schnell lief.
Mit dem Zeigefinger der freien Hand tippte ich gegen eine Ader. Sie war weich wie Gummi, aber sie bot auch einen gewissen Widerstand. Ich zerstörte sie nicht, denn das wollte ich mir bis zum Schluß aufheben. Dafür tastete ich die anderen Adern ab und erlebte hier das gleiche. Das Blut floß, mit einer sich nie ändernden Geschwindigkeit durch die Schläuche. Es transportierte Leben in die Figur hinein. Etwas Totes sollte nicht mehr tot bleiben.
Mir war nicht bekannt, wieviel Blut schon über das Grab gegossen worden war und wieviel noch folgen mußte, um ein Ziel zu erreichen, aber so weit sollte es nicht
Weitere Kostenlose Bücher