1142 - Piraten-Terror
Er hat sie geraubt und als Geliebte mit an Bord genommen, und er hat sie auch nicht sterben lassen. Ich glaube immer, dass Matilda versucht hat, ihm zu entkommen oder die Menschen vor ihm zu warnen, aber sie war wenig erfolgreich. Sie haben nicht auf sie gehört, und sie ist trotzdem eine Gefangene des Fluchs.«
»Das muss ich so akzeptieren. Können Sie mir denn sagen, warum sie so schnell verschwand?«
»Weil Sie kamen. Matilda hat Sie gespürt, und plötzlich bekam sie Angst, Woran das lag, weiß ich nicht. Es könnte aber mit Ihrem Kreuz zusammenhängen. Sie wird die andere Macht gespürt haben und wusste nicht, was sie tun sollte.«
»Kann sein. Aber das Bild haben Sie nicht von ihr?«
»Nein.«
»Woher haben Sie es dann?«
Laura schlenderte vor und senkte den Kopf. »Das ist eine etwas ungewöhnliche Geschichte, John. Ich habe das Bild aus einem Keller geholt. Das heißt, es ist eigentlich kein richtiger Keller. Er liegt neben einem Haus und wölbt sich hoch. Ich weiß, dass es auf dem Festland ähnliche Keller gibt, in denen man Wein lagert, und die auch als Probierstube dienen. Das habe ich mal auf einer Reise durch Österreich gesehen und auch genossen.«
»Ist es weit von hier?«
Laura drehte sich um und wandte dem Meer jetzt ihren Rücken zu.
»Nein, nicht besonders.«
»Wir können also bequem zu Fuß hingehen?«
»Natürlich. Aber ich frage mich, was Sie dort wollen. Da gibt es eigentlich nicht viel zu sehen.« Sie stoppte abrupt und starrte dann ins Leere. »Bis auf eine Sache, und daran trage ich die Schuld, wenn ich ehrlich bin.«
Ihr Ton hatte sich verändert. Sie sah aus wie jemand, der ein schlechtes Gewissen hatte.
»Was ist passiert?«, fragte ich.
Sie räusperte sich. »Man wollte mich nicht so einfach an das Bild heranlassen. Der Besitzer des Hauses ist plötzlich erschienen. Nun ja, wir gerieten in Streit, den ich schließlich für mich entschieden habe.«
»Was ist denn passiert?«
»Ich habe ihn niedergeschlagen«, gab sie mit leiser Stimme zu. »Erst bekam ich einen wahnsinnigen Schreck, weil ich dachte, dass er nicht mehr lebt. Das hat sich dann zum Glück nicht bestätigt.« Sie wischte über ihre Augen.
»Wie haben Sie das denn geschafft, Laura?«
Sie sprach noch immer leise und hielt den Kopf dabei gesenkt. »Mit einer alten Laterne. Das Gestell war aus Eisen und der Boden ebenfalls. Damit habe ich zugeschlagen. Direkt auf seinen Kopf. Der Mann hatte keine Chance.«
»Finden wir ihn dort noch?«
»Ich denke schon.«
»Dann lassen Sie uns jetzt losgehen.«
»Und was ist mit diesem Piraten?«
»Der wird uns nicht weglaufen. Er weiß jetzt, an wen er sich halten muss…«
»Ja, John Sinclair, das befürchte ich auch.«
***
Auch wenn die Bewohner von Kenn die Geschichte des Piraten Dolphyn kannten, so unternahmen sie nichts. Jeder wusste Bescheid, aber man redete nicht miteinander, verheimlichte seine Angst und wartete ab.
Auf den Straßen hielt sich niemand auf. Die Eltern hatten dafür gesorgt, dass die Kinder in ihren Zimmern blieben, und so lag die Hauptstraße von Kenn verlassen wie ein Geisterdorf im Wilden Westen, das einmal schlimme Zeiten erlebt hatte.
Der Wind hatte gedreht. Er blies nicht mehr aus südlicher Richtung, sondern aus Westen. So brachte er die Kälte mit, die dem Mann schneidend ins Gesicht fuhr, der sich noch auf der Straße aufhielt.
Es war der Besitzer eines Kiosks, an dem nicht nur Ansichtskarten verkauft wurden, sondern auch alles Mögliche, vom Fertiggericht bis zum Kinderspielzeug.
Der Mann hatte an diesem Tag noch Ware geliefert bekommen, denn er wollte für den Ansturm am Jahreswechsel gerüstet sein. Leider war er nicht dazu gekommen, die Ladung auszupacken. Das hatte er auf den Abend verschoben und war nun damit beschäftigt, alles in den kleinen Lagerraum zu verstauen, der sich an dem Kiosk anschloss.
Er ärgerte sich, weil er allein schuften musste. Seine fast erwachsenen Söhne waren in den Wintersport gefahren, und seine Frau hatte vor einem Tag einen Hexenschuss bekommen. Also musste er allein hindurch und die prall gefüllten Kisten in den Anbau schaffen.
Er fluchte leise vor sich hin, aber es brachte auch nicht weniger Arbeit.
Es erleichterte ihn nur. Zum Glück waren die meisten Kisten so groß, dass er sie auf einer Sackkarre stapeln und diese dann in den Anbau fahren konnte. Abladen musste er sie noch immer, und das kostete ihn Kraft und Schweiß. Nach der letzten Fuhre war alles verstaut, und so konnte er die
Weitere Kostenlose Bücher