1142 - Piraten-Terror
Sackkarre wieder neben dem Anbau an die Mauer lehnen.
Unter dem grauen Kittel trug er einen dicken Pullover. Trotzdem fror er, weil der Wind so kühl geworden war. Die andere große Arbeit stand ihm noch bevor. Er musste die Waren auspacken und die Hälfte von ihnen in den Regalen im Geschäft verstauen. Aber dazu hatte er den morgigen Tag Zeit genug, denn er wollte den Kiosk nicht öffnen.
Er wollte soeben die Tür des Anbaus abschließen, als er die Melodie aus seiner rechten Kitteltasche klingen hörte. Es war das Mobiltelefon, der moderne Quälgeist, der einfach keine Ruhe geben wollte und zu allen möglichen und unmöglichen Zeiten störte.
»Ja, was ist denn?«
»Bist du fertig, Herbert?«
Der Mann verdrehte die Augen. »Ja, Lisa. Ich habe dir doch gesagt, dass es länger dauern kann.«
»Ich meine ja nur«, sagte seine Frau weinerlich.
»Was ist denn?«, Herbert legte die flache Hand auf seine ebenfalls flache Mütze.
»Ich… ich… möchte, dass du so schnell wie möglichst kommst. Ich fühle mich nicht wohl.«
»Ist es der Hexenschuss.«
»Auch.«
»Was denn noch?«
Sie blies in das Telefon und sagte nach einer Weile. »Na ja, du weißt schon…«
»Was soll ich wissen?«
»Denk an die Nacht heute.«
Er lachte. »Colyn-Night. Ja, du hast recht. Der Fluch kann wieder zurückkehren. Aber du weißt auch, wie ich dazu stehe.«
»Klar, andere sehen das anders. Jedenfalls ist er schon im Ort.« Lisas Stimme war hektischer geworden. »Ich selbst habe ihn nicht gesehen, aber er ist da. Margret rief mich an. Sie hat ihn gesehen, und sie war ganz verstört.«
»Das ist sie auch so, die alte Schachtel.«
»Sag das nicht immer. Du kennst sie ja gar nicht richtig. Es ist schon wahr, und ich glaube es auch, verdammt. Der Pirat wird bestimmt erscheinen. Sie hat den verdammten Schatten entdeckt, und jetzt fürchte ich mich auch.«
»Dann zieh die Vorhänge zu.«
»Habe ich schon gemacht. Komm trotzdem schnell. Ich möchte, dass du mich einreibst.«
»Bis gleich.« Herbert schaltete das Gerät aus und ließ es wieder in seine Kitteltasche rutschen. Er kannte die alte Geschichte, aber die Angst seiner Frau konnte er nicht verstehen. Er jedenfalls hatte noch keinen Piraten gesehen, und vor den Touristen hatte man die Sage auch geheimgehalten. Das gefiel ihm nicht, denn derartige Spukgeschichten zogen immer wieder Menschen an, und das wäre für sein Geschäft viel besser gewesen.
Herbert schloss die Tür ab, vergewisserte sich, dass sie auch richtig verschlossen war, und war davon überzeugt, dass selbst ein Pirat bei ihm nicht einbrechen konnte.
Danach machte er sich auf den Heimweg. Er hatte nicht weit zu gehen.
Das Haus stand am Ende der Straße mit freiem Blick auf die Dünenlandschaft. Weitere Häuser sollten nicht mehr gebaut werden. So würde er den Blick bis an sein Lebensende genießen können. Er war jetzt und hoffte, noch mindestens 25 Jahre leben zu können. Die Leute hier wurden meist alt, was sicherlich am gesunden Klima lag.
Herbert war der einzige Mensch auf der Straße. Eigentlich hatte er sich nie davor gefürchtet, allein und bei Dunkelheit durch den kleinen Ort zu gehen, doch in dieser Nacht war es anders. Hinzu kamen die Worte seiner Frau, die ihn schon berührt hatten, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte.
Es gab nur wenige Laternen in Kenn. Er bewegte sich praktisch von einer Lichtinsel auf die andere zu, und als vor ihm die letzte Laterne stand und nichts passiert war, atmete er auf.
Allerdings nicht lange.
Plötzlich sah er den Schatten. Woher er gekommen war, wusste er nicht. Er sah auch keine Gestalt, von der dieser Schatten hätte stammen können, doch er war in der Lage, ihn gut zu erkennen.
Durch die helle Insel wischte er langsam hindurch. Die Gestalt eines Menschen mit einem sehr flachen Kopf, auch mit einem Körper und mit Armen versehen, bei denen eine Hand nicht so aussah, wie sie normal auszusehen hatte.
An ihrer Stelle malte sich ein Enterhaken ab.
Da wusste er, dass Colyn gekommen war!
***
Das Haus versteckte sich tatsächlich in den Dünen. Es war der Hügellandschaft angepasst und regelrecht in eine Mulde hineingedrückt worden, so dass wir schon nahe herangehen mussten, um es zu entdecken. Da wir von der Rückseite kamen, rutschten wir den Rest des Wegs einen sandigen Abhang hinab und blieben an der Rückseite stehen.
Das Haus hatte sich nicht nur versteckt, es war auch dunkel. Kein Licht leuchtete hinter den kleinen Fenstern.
»Wohnt der Mann hier
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