1143 - Grabmal des Grauens
hatte sie ihn angestrengt, und so gönnte er sich eine kleine Pause, nachdem er zwei der drei Fotos zur Seite geschoben und nur eines vor sich liegen gelassen hatte. Es war das Motiv, mit dem er sich näher beschäftigen wollte.
Zunächst einmal rollte er mit seinem Stuhl zurück, reckte die Arme und verschränkte die Hände dann hinter dem Kopf. Er kippte den Sessel, streckte die Beine aus und schloss die Augen.
Es war noch nicht spät geworden, noch keine Nacht, nur Abend. Der jedoch hatte es in sich, ebenso wie der vergangene Tag, an dem es nie hatte richtig hell werden wollen. Die Stunden waren in einem regelrechten Dämmer vergangen. Nebel, dünner Regen, mit winzigen Schneekristallen vermischt, war über London nieder gegangen. Ein Wetter, bei dem man am besten im Haus bleib. Da trieb man nicht einmal den berühmten Hund vor die Tür.
Jetzt war es finster geworden. Um das Haus herum leuchteten die Lampen wie helle Inseln, die sich überall verteilten und etwas Licht in den winterlichen Garten schickten.
Bill stand auf, trat ans Fenster und öffnete es. Er ließ einen Schwall kühler Luft in den Raum, der ihm leicht überheizt vorgekommen war.
Es war noch nicht spät. Erst zwanzig Uhr, aber draußen sah es auch um Mitternacht nicht anders aus.
Zu Abend gegessen hatten weder Sheila noch Bill richtig. Nach dem kurzen Urlaub über den Millenniumswechsel hinweg waren beide mit mehr Gewicht nach Hause gekommen, und so hatte Sheila die Kost auf Sparflamme gesetzt. Zumindest für sich wollte sie eine Woche eine Diät durchhalten, und auch Bill hatte sich dem angeschlossen. Allerdings nicht so extrem wie Sheila. Er aß nur weniger. Jetzt verspürte er schon ein leichtes Hungergefühl, aber er riss sich zusammen und ging nicht an den Kühlschrank, um sich etwas zu holen.
In einer Schale lag etwas Obst. Zwei Äpfel, eine Birne, drei Mandarinen. Die wollte Bill dann essen, wenn der Hunger einfach zu schlimm in seinen Eingeweiden wühlte.
So ganz hatte er sich mit der Diät nicht abfinden können. Vor allen Dingen nicht, was das Trinken anging. So stand auf dem Schreibtisch auch ein gut mit Rotwein gefülltes Glas, und die entsprechende Flasche hatte er ebenfalls in Griffweite stehen.
Es war ein Wein aus Italien. Ein Merlot. Ein Wein, der geschmeidig und elegant über seine Zunge hinweggeglitten war und dem Gaumen schmeichelte. Die Hälfte der Flasche war bereits leer. Wenn das so weiterging, würde sie Bill auch ganz leeren und sich dann mit der nötigen Bettschwere schlafen legen.
Er wunderte sich darüber, dass seine Frau Sheila noch nicht zu ihm gekommen war, um ein paar Worte zu wechseln. Der Laptop schien für sie interessanter zu sein als der Ehemann. Er war Neuland und deshalb so faszinierend.
Bill setzte sich wieder an den Schreibtisch und hob das Glas an. Er drehte den Wein einmal im Glas, dann setzte er den dünnen Rand an die Lippen und trank.
Er lächelte dabei. Ein wirklich edler Tropfen.
Er stellte das Glas wieder zur Seite und kümmerte sich endlich um das Foto, das er aus allen anderen herausgenommen und zur Seite gelegt hatte.
Natürlich zeigte es einen Grabstein. Und es gehörte auch zu den Aufnahmen, die Bill hatte vergrößern lassen, weil er von dem Motiv einfach fasziniert war. Ein derartiges Familiengrab hatte er wirklich noch nicht gesehen, und er erinnerte sich daran, dass er es auf einer recht versteckten Stelle eines Friedhofs etwas außerhalb der Stadt gefunden hatte.
Es war ein recht großer Flecken Erde. Da konnte von einem Grab schon nicht mehr gesprochen werden. Der Name Gruft passte da besser, und es stach von all den anderen ab.
Bill hatte es schon oft gesehen. Trotzdem schüttelte er auch jetzt den Kopf, als er es einer genauen Betrachtung unterzog. Dieses Motiv war einmalig.
Es zeigte vier steinerne Gestalten, die auf einer festen Steinplatte standen.
Keine Engel, auch keine Abbildungen von Heiligen. Diese Figuren deuteten eher das Gegenteil an. Sie kamen dem Reporter vor wie Figuren aus der Hölle. Wie dämonisches Machwerk, das sich um den Teufel herum gruppierte.
Die Figuren bestanden aus glattem Stein. Als wären sie regelrecht geputzt worden. Sie hatten keine Patina angesetzt, sie wurden wohl des öfteren gesäubert, und Bill schüttelte auch jetzt noch den Kopf, als er sie betrachtete.
Eine Gruppe von vier dämonischen Gestalten. Sie alle glichen sich. Es konnten sogar Vierlinge sein. Glatte Figuren, nackt, kahl, mit breiten Gesichtern, bei denen sich der
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