1144 - Der Rächer aus dem Morgenland
Lautstärke zu.
Allmählich wurde ihr bewusst, dass die Sprecherin nicht unter der Erde in diesem Gewölbe blieb.
Sie wollte ihren ehemaligen Geliebten sehen und verließ ihr Versteck.
Peggy konnte nicht anders. Sie musste einfach hinschauen. Dabei hielt sie den Kopf leicht nach rechts gedreht, um sich auf den einen Punkt zu konzentrieren. Dieser bogenförmige Eingang sah aus wie der Aufbau einer Brücke, unter dem sich die Dunkelheit zusammenballte. Aus ihr hervor trat die Gestalt.
Peggy, die heftig geatmet, hielt den Atem jetzt an. Es war ihr nicht klar, ob sie es mit einem Menschen zu tun hatte. Jedenfalls hatte die Gestalt eine menschliche Form, aber sie bewegte sich körper-und knochenlos. Sie war nicht mehr als ein lebendiger Schatten, der sich geduckt hatte, und sich nun, nach Verlassen der Unterwelt, wieder aufrichtete und fast eine menschliche Größe erreichte.
Sie ging, aber man hörte nichts. War sie nur ein Schatten? Vielleicht ein Geist oder ein Gespenst.
Peggy warf die Begriffe durcheinander, und sie merkte auch nicht, dass die Angst sie nicht aus den Klauen lassen wollte. Auch wenn Lucy erschienen war und ihr noch nichts getan hatte, das bedeutete nicht, dass die Dinge bereits für sie gelaufen waren.
Edward Estur hatte bisher nichts gesagt. Sein Gesicht war dem Eingang zugewandt, und erst jetzt, als sich die Gestalt völlig aus der Dunkelheit gelöst hatte, war er wieder in der Lage, zu reagieren.
»Lucy…«
»Ja, ich bin Lucy!«
Damit hätte Peggy rechnen müssen. Sie hatte sich auch darauf vorbereitet, und trotzdem war sie überrascht. Sie konnte nicht begreifen, dass sie mit zwei Gestalten auf dem Hof stand, die schon längst nicht mehr lebten und trotzdem existierten. Zwei Tote, die redeten wie normale Menschen.
Eine nur als Schatten, der andere ein Skelett in einer Rüstung. Und zwei, die nichts vergessen hatten.
Peggy konzentrierte sich auf Lucy. Obwohl sie die Finsternis der Höhle verlassen hatte und in die andere Dunkelheit getreten war, war sie kaum besser zu erkennen. Sie blieb der Schatten.
Peggy dachte, dass es eine Sache zwischen den beiden war und sie außen vor stand. Sie hätte verschwinden können und wäre wahrscheinlich nicht aufgehalten worden, doch auch das war ihr nicht möglich. Sie blieb stehen, als hätte man ihr einen strikten Befehl gegeben.
Lucy konzentrierte sich auf den Kreuzfahrer, der sich nicht rührte. Er musste ebenfalls seinen Schock verkraften. Um seine Rüstung herum schimmerte noch immer das leicht grünliche Licht, wobei Lucy schwarz wie ein Schatten blieb.
Keiner sprach ein Wort.
Lucy war stehen geblieben, um den Kreuzfahrer zu mustern. Sie starrten sich an. Sie waren über Jahrhunderte getrennt gewesen und sahen sich nun zum ersten Mal nach dieser langen Zeit wieder.
Der Kreuzfahrer hatte seine Haltung ein wenig verändert und sich leicht schräg hingestellt. So hielt er auch sein Schwert, das eine Diagonale vor dem Körper bildete. Die Klinge wies weder auf Lucy noch zeigte sie auf Peggy.
Diesmal wehte ihre Stimme direkt über den kleinen Burghof hinweg. »Ist die Liebe nicht stärker als der Tod, Edward? Haben wir uns das nicht hier geschworen?«
»Ja, haben wir…«
»Jetzt hast du den Beweis. Die Liebe ist stärker als der Tod. Du hast mich allein gelassen, du hast mich verraten, und ich habe dich verflucht. Ich habe auch zu allen Heiligen gebetet und die Engel beschworen, weil ich es nicht glauben konnte. Ich war so enttäuscht von dir. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass du unseren Schwur brechen würdest. Aber du hast es getan. Du bist gereist, und ich bin in meinem Elend allein geblieben. Es halfen mir weder Heilige noch Engel noch Menschen. Wenn so etwas passiert, bleibt einem Menschen in seiner verzweifelten Lage nur eines. Da muss der Teufel ran. Ja, der Satan, der Herrscher der Hölle. Ihn habe ich letztendlich angefleht. Ich habe mich ihm geweiht. Ihm habe ich die Seele gegeben, die er sich nach meinem schlimmen Tod auch geholt hat. Er hat sein Versprechen eingelöst. Ich bin noch da, ebenso wie du, Edward. Du bist auch den anderen Weg gegangen. Wir sind uns irgendwie gleich. Du hast in der Fremde gelernt, ich hier. Wir dürften uns eigentlich nicht bekämpfen, mein Geliebter, aber wir tun es trotzdem - oder?«
»Was willst du damit sagen?«
»Irgendwo sind wir Menschen geblieben. Wir haben das Menschliche nicht vergessen können. Beim Satan gibt es keine Liebe. Doch die zwischen uns beiden war so stark. Wir
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