1144 - Der Rächer aus dem Morgenland
Kopf. »Bitte, welches Schicksal? Ich stehe hier und friere. Ich sehe dich, kann dich mir aber nicht erklären und…«
»Ich hatte einmal eine Geliebte«, unterbrach sie die geisterhafte Stimme, »und die hole ich mir zurück!«
Auch wenn Peggy noch nicht erwachsen war, wusste sie, was die Worte bedeuteten. Dieses Skelett, dieser unheimliche Ritter wollte sie zu seiner Geliebten machen. Er wollte mir ihr…, nein, das war nicht zu glauben…
»Irre, Mann, du bist irre…«
»Ich will dich. Ich werde dich bekommen. Du bist die, die ich gesucht habe. Und wenn du dich weigerst, werde ich dich in den Tod und die ewige Verdammnis schicken…«
Das war Peggy trotz ihrer jungen Jahre klar. Tod und Verdammnis - so etwas hatte sie schon des öfteren gehört. Im Religionsunterricht war davon gesprochen worden. Zitate aus der Bibel, dem Alten Testament, da war schon von Tod und Verdammnis die Rede gewesen. Schon immer hatte es Peggy vor derartigen Textstellen gegruselt, und nun gab es jemand in ihrer Nähe, der ihr dieses Schicksal voraussagte.
Sie glaubte Edward. Er war stark geworden. Wieder erstarkt und demnach stärker als jeder Mensch.
Zudem befand er sich auf einem Irrweg. Er hatte sie nicht gesucht. Peggy fühlte sich als Opfer. Sie war nicht die Person, auf die es ihm ankam.
»Nein, nein, ich will nicht! Nein, auf keinen Fall!« Sie streckte der Gestalt beide Hände entgegen.
»Ich will noch nicht sterben, und ich will auch nicht deine Geliebte werden. Ich lebe, du nicht. Du bist etwas anders…«
»Du musst es werden! Ich habe es so beschlossen. Keine andere Person kommt dafür infrage. Es ist endlich die Zeit gekommen, in der ich die Vergangenheit wieder aufleben lasse. Ich bin aus dem Heiligen Land zurückgekehrt mit einem Wissen, das mich unsterblich machen soll. Ich wollte, dass Lucy und ich ewig leben. Es hat nicht so sollen sein, aber jetzt halte ich mich schadlos. Lucy ist nicht einmalig. Ich habe dich gesehen, und du hast so viel mit ihr gemein.«
Es gab auch keine Starre bei Peggy Shaw. Ihr Geist hatte sich geöffnet. Jedes Wort hatte sie verstanden. Und sie konnte auch eins und eins zusammenzählen. Hier war sie auf sich allein gestellt. Es gab nur eine Rettung für sie, und das war die Flucht. Sie musste weg von diesem verdammten Ort und sich zuvor aus Edwards Bann befreien.
Peggy wich den ersten Schritt zurück. Sie zitterte dabei und behielt furchtsam die unheimliche Gestalt im Auge. Die Umgebung war schaurig. Ein dunkler, unheimlicher Ort. Umgeben von alten Mauern, von Büschen, vom Wind, der immer wieder wie mit mächtigen Schwingen gegen sie schlug.
Auf einmal hörte sie die Stimme. Niemand hatte sie vorgewarnt. Die Stimme war plötzlich da. Sie hörte sich nicht nur tief an, sie klang auch aus der Tiefe, als wäre sie in einem Grab geboren worden, das eine Öffnung aufwies.
»Edward - Edward Estur!«
Ein Name, sein Name. Für Edward war nur er wichtig und nichts anderes.
Sie wehte über den freien Platz, und sie klang nicht einmal laut, aber sie war auch in der letzten Ecke des Hofs zu hören.
Der Kreuzfahrer, der sich bisher allein auf Peggy konzentriert hatte, wirkte wie erstarrt. Der Klang der Stimme musste ihn erschüttert haben. Nachdem abermals sein Name gerufen worden war, wusste er, wie er sich verhalten musste. Er drehte den Kopf.
Der Kreuzfahrer schaute dorthin, wo die Wand unten ein großes halbrundes Loch aufwies. Dort begann die Treppe, die in der Tiefe verschwand. Aus dieser Umgebung war die Stimme aufgeklungen.
Peggy ging es ähnlich wie dem Kreuzritter. Sie bewegte sich ebenfalls nicht. Sie fror ein. Auch wenn sie gewollt hätte, es wäre ihr nicht möglich gewesen, die Flucht zu ergreifen. Zu unheimlich waren die Vorgänge, aber es gab die Worte. Und es gab nicht nur die beiden, denn die andere Person formte sie zu einer Anklage gegen den Kreuzfahrer. Sie warf ihm Verrat vor, und jedes Wort war gezielt.
Die Stimme blieb dabei in dieser dumpfen Tonlage, aber sie war trotzdem irgendwo hell. Peggy Shaw konnte sich gut vorstellen, dass die Worte von einer Frau gesprochen worden waren. So konnte nur eine Person reden, deren Liebe enttäuscht und die verlassen worden war.
Peggy wunderte sich darüber, wie stark ihre Angst zurückgegangen war. Sie hörte Worte, die auch aus einem Roman hätten stammen können. Von enttäuschter Liebe, von Verrat und Rache wurde gesprochen. Von dem Niemals-verlassen-werden, und mit jedem Wort, das sie hörte, nahm die Stimme an
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