1145 - Das Haus der Selbstmörder
dicht, dass ich nicht sah, was sich jenseits davon befand.
Das Kreuz behielt ich nicht in der Tasche. Ich ließ es in meiner Hand, als ich den nächsten Schritt tat. Ich beobachtete das gelbe Viereck. Es bewegte sich nicht. Es zeigte mir keine Bilder. Es wehte mir auch keine Kälte entgegen. Ich hörte keine Stimmen, was mich ebenfalls wunderte, da ich sie auf dem Hinweg wahrgenommen hatte. Wahrscheinlich hatten sie mich da nur locken wollen.
Der dritte Schritt.
Ich stand jetzt auf der Grenze!
Wenn ich den Arm ausstreckte und die Finger lang machte, war es mir möglich, das Licht zu berühren. Zum erstenmal erlebte ich auch so etwas wie eine Gegenbewegung. Es gab nicht nur das Licht vor mir. Da war etwas darin.
Ich streckte dem gelben Viereck meine Hand mit dem Kreuz entgegen. Dabei hoffte ich auf eine Reaktion, und es wäre mir am liebsten gewesen, wenn das Kreuz dieses Licht zerstört hätte. Einfach brutal zerfetzt, und danach wäre alles wieder normal gewesen.
Der Sog war da!
Er zerrte an meiner Hand. Er floss über sie hinweg, und auch das Kreuz baute dabei keine Gegenkraft auf. Es erging mir beinahe wie Jack Kessler, und jetzt, genau in diesem wichtigen Augenblick, hörte ich auch wieder die Stimmen.
Die Toten riefen!
Ich folgte dem Ruf. Bange machen galt nicht. Keinen Rückzieher mehr. Alles oder nichts.
Mit diesem Gefühl legte ich auch den Rest der Distanz zurück - und trat hinein in die gelbe Hülle und Fülle. Ich hatte damit gerechnet, in die Tiefe zu fallen, da ich ja ins Leere getreten war. Ein Irrtum. Ich fiel, aber es packte mich zugleich ein Sog, der von heulenden Totenstimmen begleitet war, um mir den Weg ins Jenseits zu öffnen…
***
Jane Collins war nicht weit gefahren, als sie wieder anhielt. Neben ihr saß Al Frogg wie ein Häufchen Elend. Er hielt den Kopf gesenkt.
»Bitte, Al«, sagte Jane, »ein wenig kooperativer könnten Sie schon sein, meine ich. Ich bin jetzt gefahren, aber ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist. Deshalb meine Frage. Welchen hätten Sie denn genommen?«
Nur widerwillig schaute er hoch. Er blickte durch die Scheibe und gab Jane eine Antwort, die ihr auch nicht half. »Ich wäre nicht auf dem Weg geblieben, sondern querbeet gelaufen.«
»Schön für Sie, aber das schaffen wir nicht mit dem Auto. Ein Golf ist schließlich kein Geländewagen.«
Er wartete mit einer Antwort und sah endlich nach vorn, wo die Scheinwerfer einen bleichen Fleck auf der Straße hinterlassen hatten. Das war wohl alles, die übrige Umgebung verschwand in der Dunkelheit. Jane wusste wohl, wie man nach London kam, aber nicht dorthin, wo sich Al Frogg das Leben hatte nehmen wollen.
Die Detektivin wartete. Sie trommelte ungeduldig mit den Fingerkuppen auf den Lenkradring. Sie hatte das Gefühl, nicht mehr zu viel Zeit zu haben. Einen Beweis dafür gab es nicht. Da hörte sie einfach auf ihre innere Stimme.
»Ich denke, dass wir gleich nach links müssen«, sagte sie.
Al nickte. »Meine ich auch. Es muss einen Weg geben. Ich wäre ihn auch gegangen.«
»Wunderbar!«
»Fahren Sie!« sagte er plötzlich.
»Und wann muss ich nach links abbiegen?«
»Wir werden es sehen«, flüsterte er. »Und wir werden auch das Ziel sehen. Daran glaube ich fest. Es ist das Haus. Es ist das Licht. Ich spüre es wieder in mir. Ich will hin…«
Es gefiel Jane nicht, dass ihr Begleiter plötzlich so aufgeregt war, aber sie wollte auch nicht reinreden, und so fuhr sie wieder langsam an. Es war und blieb eine menschenleere Gegend. Kein Fahrzeug war ihnen bisher entgegengekommen, und so blieb es auch. Sie befanden sich allein auf dem grauen Band der Straße, das diese leicht wellige Landschaft durchschnitt.
Vom Himmel her fiel kein Licht herab. Die Wolken bildeten einen dichten Vorhang. Durch Wald brauchten sie nicht mehr zu fahren. Die einzige Vegetation am Wegrand bestand aus Büschen.
Es gab auch keine Hinweisschilder. Man hatte Jane bei der Abfahrt gesagt, dass sie diesen Weg als Abkürzung nehmen konnte. Daran glaubte sie schon längst nicht mehr. Jetzt kam sie sich vor, als hätte sie sich in der Landschaft verfahren.
»Und Sie sind sicher, dass es ein Haus ist?«, fragte sie.
»Ja, ja…«
»Woher?«
»Ich habe es gesehen.«
»Sie waren schon da?«
Al Frogg kicherte. »Ja und nein. Ich konnte es in meinen Träumen sehen. Da hat man es mir gezeigt. Ein großes Haus mit vielen erleuchteten Fenstern. Sie alle sind wichtig, denn sie dienen als Eingänge für uns. Durch sie rufen uns die
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