1153 - Die Gruftie-Girls
sich eine Legende aufgebaut haben.«
»Und haben damit Erfolg.«
»Genau.«
»Was hast du noch herausgefunden?«
Suko ließ die Blätter an seiner Daumenkuppe entlang gleiten. »Leider nichts Prägnantes. Das Lokal Darkroom ist erwähnt worden. Ich weiß auch, wo ich es finden kann, ansonsten hätte der Text auch von einer weiblichen Person stammen können. Das sind Worte voller Sehnsucht und einer schon schwülstigen und schmachtenden Liebe. Elmar Gentry scheint sich wirklich in diese Personen verknallt zu haben.«
»Und er war nicht der Einzige«, sagte ich. »Die beiden werden noch andere gefunden haben, die die Sünde in die Welt bringen.«
Suko gab mir Recht und steckte das schmale Tagebuch in die Tasche.
»Es gibt viel zu tun, packen wir es an.« Er deutete auf das Fenster. »Es ist zwar noch nicht dunkel, aber wir könnten uns schon auf den Weg zum Darkroom machen.«
»Wo müssen wir hin?«
Er krauste die Stirn. »Da, wo der Hafen noch recht ursprünglich ist.«
»Ein Toller Platz.«
»Meine ich auch…«
***
Nick O'Brien hielt den Atem an. Von seinem Nacken her lief ein kalter Streifen den Rücken hinab.
Er konnte seinen Blick einfach nicht von Julias Gesicht abwenden.
Dabei wusste er nicht, ob er sich irrte oder sich das Gesicht tatsächlich auf diese rätselhafte und unheimliche, aber auch kalte Art und Weise verändert hatte.
Das Kalte hatte nichts mit einer Temperatur zu tun. Es ging vom Gefühl aus. Nick erinnerte sich an das eigentlich recht freundliche Gesicht der jungen Frau. Ihre weichen Züge, ihr Lächeln, das Schimmern in den Augen, das Locken in den Blicken, die helle Haut, die anmutigen Bewegungen, das alles war jetzt verschwunden, denn dieses Gesicht hatte alles Normale verloren.
Ob es die Haut noch gab, wusste er nicht. Sie war jedenfalls von den zahlreichen kleinen Schuppen bedeckt worden.
Wie Dachpfannen lagen sie übereinander. Der metallene Glanz war nicht zu übersehen, und Nick suchte verzweifelt nach Vergleichen, wo er so etwas schon gesehen hatte.
In manchen SF-Filmen hatten Besucher aus dem All so ausgesehen.
Glatt, andersfarbig, noch menschlich, aber trotzdem waren es keine Menschen gewesen.
Er schüttelte den Kopf. Es war die erste Reaktion, zu der er überhaupt fähig war. Dann sah er noch, wie die Person ihren rechten Arm bewegte.
Es sah so aus, als wollte sie ihre Hand aus dem Ärmel schieben, was schließlich auch zutraf, und Nick hatte das Gefühl, als wären die Finger länger geworden.
Auch sie waren grau und schuppig. Demnach musste sich der gesamte Körper verändert haben. Er dachte wieder daran, dass sich die Schwestern selbst als Engel bezeichneten, und so stellte er sich die Frage, ob Engel tatsächlich so aussahen wie sie.
Bisher hatte er von ihnen ein anderes Bild gehabt, sehr aus der Kindheit geprägt. Für ihn waren Engel Geschöpfe, die immer lieb, aber unsichtbar die Köpfe der Kinder umkreisten, um die sehr jungen Menschen beschützen zu können.
Damit hatte Julia überhaupt keine Ähnlichkeit. Sie war eher zu einer kalten Figur geworden, vor der Nick eigentlich hätte Angst haben müssen, was aber nicht der Fall war, denn er stand in einer gewissen Verbindung mit dieser Gestalt, denn sie hatte ihn geprägt. Und so hielt sich seine Furcht in Grenzen. Sie war mehr zum Staunen geworden.
Eine zweite saß neben ihm. Wiebke hatte sich nicht bewegt. Als er vorsichtig den Kopf drehte, nachdem er etwas von ihr weggerückt war, schaute er auf ihr Profil.
Die steifen, toupierten dunkelroten Haare wirkten noch künstlicher als sonst. Es mochte daran liegen, dass auch Wiebke die Veränderung durchlebt hatte, denn auch ihre Haut war grauer geworden. Bei näherem Hinsehen konnte er die Trennungen der Schuppen sehen.
Sie nahm ihn nicht zur Kenntnis und konzentrierte sich einzig und allein auf ihre Schwester, deren dunkle Augen einfach nur ins Nichts starrten.
»Was ist mit Elmar? Weißt du mehr?«
Julia hatte die Frage gehört, aber sie schien ihr nicht gefallen zu haben, denn sie stöhnte auf. Dennoch gab sie eine Antwort. »Er… er wurde uns genommen.«
»Ganz?«
»Ja. Wir haben ihn verlassen. Unsere Kräfte waren nicht stark genug. Jemand ist gekommen und hat es uns gezeigt. Es ist nicht nur ein Feind, er ist ein Todfeind, verstehst du? Ein Todfeind. Und Todfeinde werden wir vernichten müssen.«
»Du musst ihn suchen, Schwester.«
»Wir werden ihn suchen, nicht ich allein. Wir werden ihn suchen, und wir werden ihn finden, darauf kannst du
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