1153 - Die Gruftie-Girls
eigenen Schicksal beschäftigt. Dabei war er davon ausgegangen, sich trotz allem unter Kontrolle zu haben, was nicht mehr stimmte, denn nun begannen seine Hände und auch die Füße wie von selbst an zu zittern. Es blieb nicht dabei. Er schlug beinahe schon um sich. Die Arme hob er in die Höhe, ließ sie wieder fallen. Seine Füße rutschten über den Boden. Er merkte auch den Druck in seinem Innern, der so stark war, dass er glaubte, er würde seine Brust sprengen.
Ihm war kalt geworden. Im Gegensatz dazu durchschossen ihn heiße Schauer, die bis hinein in seinen Kopf glitten. Er musste zugeben, dass ihn eine fremde Kraft erwischt hatte, gegen die er nicht ankam.
Dennoch war es ihm möglich zu denken, und er stellte fest, dass er sich nicht so stark verändert hatte wie die Schwestern.
Sie schafften es kaum noch, sich unter Kontrolle zu halten. Neben ihm wippte Wiebke vor und zurück. Sie schlug bei jeder Bewegung nach hinten immer wieder mit dem Rücken gegen die Lehne der Couch und wurde dabei nach vorn katapultiert. Ihr Gesicht war blass geworden. Es schwamm in der ungewöhnlich grauen Luft wie ein Fremdkörper. Oder war es doch verändert?
So genau erkannte Nick es nicht. Zudem hatte er genug mit sich selbst zu tun. Etwas war in ihn hineingedrungen wie eine Botschaft, an der er eigentlich nicht beteiligt war. Trotzdem musste er sich mit ihr auseinander setzen.
Julia, die sich ebenfalls heftig am Tisch stehend vor und zurück bewegt hatte, stand plötzlich still. Sie starrte stumm zur Decke und zitterte.
»Wiebke…?«
Sie bekam keine Antwort auf die Frage, denn ihre Schwester hatte genug mit sich selbst zu tun. »Wiebke!«
Erst jetzt hörte die Angesprochene, denn der Name war ihr als Schrei an die Ohren geprallt.
»Ja, ich…«
Julia ließ sie nicht ausreden. »Spürst du es, verdammt? Merkst du, was geschehen ist?«
»Ja, man hat ihm die Kraft genommen.«
»Sehr richtig. Man hat es geschafft. Er wird nicht mehr mit unseren Augen sehen, und wir haben seine Schmerzen miterlebt. Jemand ist gekommen, der uns nicht mag. Er ist ein Feind der sündigen Engel, und er ist verdammt stark.« Sie drehte sich noch immer nicht um, sprach allerdings weiter. »Was hast du gespürt?«
»Schmerzen.«
»Richtig. Und wo?«
»Überall.«
»Ja, das stimmt auch. Nicht nur an den Augen. Sie waren überall. Sie kriechen hinein, verflucht! Wir haben gelitten, aber Elmar muss noch mehr gelitten haben. Er war bereit, die Sünde in die Welt zu tragen, Schwester, aber jetzt, ist er es nicht mehr. Verstehst du? Er ist es nicht mehr. Man hat ihm diesen Einfluss geraubt. Wir haben leider keine Macht mehr über ihn.«
»Wer, Julia?«, flüsterte Wiebke, »wer ist so stark, dass er so etwas schafft?«
»Ich kann es dir nicht sagen. Ich… ich… weiß es nicht. Wer ist stärker als die Macht der Engel? Bitte, sag es. Ich… ich… muss es wissen. Ich kann sonst nicht leben…«
Julia drehte ihrer Schwester noch immer den Rücken zu. Sie schüttelte den Kopf, und ihre Haare flogen dabei. »Ich kann es dir nicht sagen. Ich spüre ihn nur…«
»Ein Mensch?«
»Es muss ein Mensch sein.«
Wiebke schrie auf. Diesmal vor Wut. Sie hatte Mühe, zu sprechen.
»Wer, verdammt? Wer kann es sein? Wer ist stärker als die Engel?«
»Es gibt andere.«
»Andere Engel?«
»Ja.«
»Sie wissen nichts von uns. Sie kümmern sich nicht um die Menschen. Nicht so wie wir.«
Julia blieb stehen und sagte zunächst nichts. Es war gut, dass die den Tisch als Stütze besaß, denn auf Nick wirkte sie wie vor dem Zusammenbruch.
Ihm ging es wieder besser. Er spürte nur ein Brennen nahe seiner Augen. Er hatte auch in der letzten Zeit alles sehr deutlich gehört, und allmählich fragte er sich, mit wem er es hier wirklich zu tun hatte.
Waren es Menschen, waren es Geistwesen, waren es Wesen, die zwischen Menschen und Geistern existierten?
Engel… sündige Engel…
Nick schüttelte den Kopf. Es war ihm noch zu hoch. Er hatte sich bisher nie mit Engeln beschäftigt und wurde einfach zu plötzlich mit diesen Problemen konfrontiert. Das stellte sein bisheriges Weltbild auf den Kopf, obwohl die Kraft der seltsamen Schwestern nach wie vor in ihm steckte.
Julia wollte nicht mehr an ihrem Platz stehen bleiben. Sehr langsam drehte sie sich um, wobei sie die Hände von der Tischplatte löste. Ob Nick wollte oder nicht, er musste einfach hinschauen, weil er das Gefühl hatte, etwas Außergewöhnliches zu erleben. Er fühlte sich zwischen allen Stühlen
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