1158 - Kalt wie der Tod
sollte.
Noch hatte die andere nicht gesprochen. Sie wartete, und ihre Fangarme glichen dünnen, aber durchaus harten und sehr biegsamen Gummischnüren.
Maja hatte keine Chance, sich dagegenzustemmen. Sie rutschte über den feuchten Uferboden. Sie spürte plötzlich das Wasser an ihren Füßen, und einen Augenblick später wurde sie von den weichen und trotzdem so kalten Armen der Frau umfangen wie eine Geliebte.
Maja bekam alles so überdeutlich mit. Sie roch den Körper, der den Geruch von feuchtem Gras und auch leicht verfaultem Laub ausströmte. Sie war umarmt worden und fühlte sich zugleich als Gefangene einer Person, der sie nie mehr entfliehen konnte.
Ihr Leben hatte sich auf den Kopf gestellt, und dann erwischte sie der mächtige Druck.
Maja rutschte aus. Jemand hatte ihr die Beine vom Boden weggezogen. Sie lag in der Waagerechten und auf dem Rücken, bekam zuerst das Spritzwasser mit und einen Moment später die eisige Kälte, als die Wellen über ihr zusammenschlugen.
Ich bin im Wasser! Himmel, sie hat mich ins Wasser gezogen! Plötzlich wurde ihr bewusst, was sie hier erlebt hatte und noch erleben würde. Alles war anders geworden, und immer wieder schnitt ihr ein Begriff durch den Kopf.
Kalt wie der Tod!
So kalt war das Wasser, das über ihren Kopf zusammengeschlagen war. Maja spürte die Strömung, die an ihr zerrte.
Sie erlebte ebenfalls einen Auftrieb, der sie an die Oberfläche bringen sollte.
Nein, etwas war da, das auf ihren Körper drückte. Etwas erschien wie ein gewaltiger Schatten vor ihren weit geöffneten Augen. Sie spürte die Hände auf ihrem Körper, die dafür sorgten, dass sie gegen den Grund gedrückt wurde.
Den Mund hatte sie bisher geschlossen gehalten. Es war ihr wichtig, die Luft so lange wie möglich anzuhalten.
Trotzdem - es kam nur einer geringen Verlängerung ihres Lebens gleich. Sehr bald spürte sie den Luftmangel, und sie stemmte sich noch einmal gegen den kalten Tod an, dessen Hände aber überall waren und sie nach unten drückten.
Am Rücken entlang glitt der glitschige Grund. Sie wirbelte den Schlamm auf, der auch an ihrem Gesicht vorbeizog und ihr dabei noch den letzten Rest der Sicht nahm.
Wenig später konnte sie den Mund nicht mehr geschlossen halten. Sie riss ihn weit auf.
Genau darauf hatte die andere Person nur gewartet. Bevor sich Maja versah, erreichte der fremde Druck ihre Lippen. Es war ein fremder Mund, sie schmeckte eine fremde Zunge und auch fremde Gedanken bewegten sich durch ihren Kopf.
»Jetzt gehörst du mir. Nur mir…«
Dann wurden beide Körper von den Wellen gepackt und nach vorn getrieben, wobei sie sehr bald durch das dunkle und auch fleckige Wasser verschluckt wurden.
Der Entführer war zufrieden. Er stand am Ufer und lachte leise vor sich hin…
***
»Du siehst müde aus, Harry!«
»Danke, John, das hast du mir schon zweimal gesagt.«
»Stimmt es nicht?«
»Doch. Ich bin auch müde.«
»Dann kann ich ja fahren.«
»Nein, so müde bin ich auch nicht, und den Berliner Verkehr haben wir auch hinter uns.«
»Wie du meinst.«
Ich hatte den Beifahrersitz im Opel Omega so weit wie möglich zurückgeschoben und es mir bequem gemacht. London lag hinter mir, eine Hetze zum Airport ebenfalls, und ich hatte auch den kurzen Flug locker überstanden.
Harrys Begrüßung war wie immer sehr herzlich ausgefallen, doch sehr schnell war mein deutscher Freund ernst geworden. Ich erhielt erst jetzt einen detaillierten Bericht dessen, was ihm in der vergangenen Nacht widerfahren war.
Das war nicht zum Lachen. Schon allein nicht wegen des vierfachen Killers, der keinen Menschen mehr umbringen konnte. Doch die andere Gestalt stufte mein Freund als ebenso schlimm ein, wenn nicht noch schlimmer, wie er meinte.
»Und du bist davon überzeugt, dass es sich bei ihr um eine Kreatur der Finsternis handelt?«
Harry musste lachen. »Du etwa nicht? Oder bist du nur zum Spaß nach Berlin gejettet.«
»Nein, das nicht. Ich will auch keine Madame Tarock besuchen.« Damit spielte ich auf den letzten Fall an, den wir gemeinsam in der deutschen Hauptstadt erlebt hatten, zusammen auch mit Dagmar Hansen, Harrys Freundin und Partnerin.
»Eben, John. Ich sage dir, dass ich da wirklich nur durch Zufall das Ende eines Fadens in die Hand bekommen habe, bei dem ich nicht weiß, wo sich der Anfang befindet.«
»Ja, das ist schon richtig. Eine Kreatur der Finsternis ist alles, nur kein Spaßvogel. Kannst du dir eigentlich vorstellen oder hast du dir Gedanken
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