1158 - Kalt wie der Tod
mein Lächeln nicht sah. Dann blickte ich gegen den Himmel. »Alles was recht ist, Harry, aber so warm ist es nicht.«
»Himmel, das weiß ich selbst.«
»Reg dich nicht auf, bitte.«
»Mache ich auch nicht. Aber ich bin davon überzeugt, dass hier etwas nicht stimmt.«
Ich gab ihm die Antwort auf meine Art und Weise. Über die flache Böschung rutschte ich hinweg, bis meine Füße fast vom Wasser umspült wurden. Ich blieb dort stehen und stellte fest, dass der Bach doch recht tief war. Das Wasser würde mir bestimmt bis zu den Oberschenkeln reichen.
Harry war mir gefolgt. Auch er blickte nach rechts und links. Da kein Nebel herrschte und der Bach auch recht gerade lief, hatten wir eine gute Sicht. Es wäre uns aufgefallen, wenn sich jemand im Wasser herumgetrieben hätte.
Da war nichts zu sehen, und so weit konnte die geheimnisvolle Maja in der kurzen Zeit auch noch nicht gelaufen sein.
»Und nun?«, fragte ich, nachdem eine gewisse Zeit verstrichen war. »Sollen wir weiter hier stehen bleiben?«
»Getäuscht habe ich mich nicht.«
»Ja, ja, das glaube ich dir. Dann müsste sie trotzdem unter Wasser sein und sich dort versteckt halten.«
»Allmählich halte ich alles für möglich. Da brauche ich nur an die Kreatur der Finsternis zu denken.«
»Sollen wir den Bachlauf abgehen, Harry? Ist es dir dann wohler?«
Er überlegte noch, bevor er heftig abwinkte. »Nein, lass uns ins Dorf fahren. Kann auch sein, dass ich mich geirrt habe. Ich möchte mit Hans Illig darüber sprechen. Vielleicht sitzt seine Tochter auch zu Hause und ist froh und munter.«
»Es wäre ihm und uns zu gönnen.«
Wir gingen wieder das kurze Stück zurück zum Wagen und stiegen ein.
Harry war recht schweigsam geworden. Er sagte auch auf dem Rest der Fahrt so gut wie nichts, weil ihm das Auftauchen der geheimnisvollen Frau nicht aus dem Kopf wollte. Wenn es sie tatsächlich gab und sie sogar im Wasser verschwunden war, dann, so glaubte ich, hatten wir ein echtes Problem…
***
Eine Frau, die ein Tuch um ihren Kopf gebunden hatte, stand vor der Pension und fegte mit einem Reisigbesen den Boden. Als wir am Straßenrand anhielten und ausstiegen, schaute sie kurz hoch, blieb wie ein Arbeiterdenkmal stehen und geriet erst in Bewegung, als sie Harry Stahl erkannte.
»Da sind Sie ja wieder!« Sie kam auf uns zu.
»Das ist Frau Illig!« stellte mir Harry die Frau vor. »Sie und ihrem Mann gehört die Pension.«
»Und Sie sind die Mutter von Maja.«
»Sie kennen meine Tochter?«
»Mein Freund Harry hat mir von ihr erzählt. Ich heiße übrigens John Sinclair.«
»Hört sich englisch an.«
»Ich bin auch Brite.«
Harry räusperte sich kurz und fragte: »Sagen Sie, Frau Illig, ist Maja schon zurück?«
Mit diesen Worten hatte er einen wunden Punkt angesprochen. Das Gesicht der Frau verschloss sich. Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe sie heute noch nicht gesehen.«
»Seltsam. Und das beunruhigt Sie nicht?«
»Schon irgendwie. Aber Maja ist erwachsen. Sie will auch ihren eigenen Weg gehen. Außerdem ist sie nicht zum ersten Mal über Nacht weggeblieben. Wenn die Feten zu lang werden, dann schläft sie auch bei einer Freundin.«
»Hoffen wir es.«
»Wie meinen Sie das denn, Herr Stahl?«
Harry winkte ab. »Vergessen Sie es. War nur so dahingesagt. Aber Ihr Mann ist im Haus?«
»Ja, er putzt die Theke. Gehen Sie ruhig hin.« Sie wandte sich an mich. »Wollen Sie auch bei uns übernachten, Herr Sinclair?«
»Das wird sich wohl so ergeben.«
»Wir haben noch Zimmer frei. Sehr teuer ist die Übernachtung bei uns auch nicht. Das Frühstück ist natürlich eingeschlossen.«
»Danke.«
Es war gewissermaßen ein Abschlusswort, aber Frau Illig schaute mich an, als läge ihr noch etwas auf dem Herzen. »Haben Sie was?«, erkundigte ich mich lächelnd.
»Ach nein, lassen Sie mal.«
»Gut. Wir sehen uns ja noch.«
»Natürlich.«
Harry und ich betraten das Haus. Es wurde praktisch durch den Gang geteilt, der hinter der Vordertür begann. Wir konnten durchschauen bis zur Hintertür, die offen stand. Ein grauhaariger Mann war damit beschäftigt, mit Leergut gefüllte Kästen in den Hof zu tragen. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er uns nicht sah. Erst als er zurückkehrte, um neue Kästen zu holen, schaute er hoch und bemerkte uns.
»O, Herr Stahl. Da sind Sie ja wieder und haben sogar Wort gehalten. Sogar, Ihren Freund haben Sie mitgebracht. Herzlich willkommen, Herr…«
»Sinclair«, sagte ich.
Hans Illig wischte seine
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