116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)
verhängen.
Und doch ging es irgendwann zu Ende. Vor der Presse, die von einer Taufe berichtete, aber kein Lager sah, hatte der Nuntius für jeden der anwesenden Vertreter eine Botschaft und erzählte, wo man schon einmal dabei war, alle Masken fallen zu lassen, vom Interesse, das der Papst an der Bekehrung einiger chinesischer Regionen hatte. Er schloss, indem er ein Telegramm verlas, das die Täuflinge an den Papst hatten richten dürfen und worin sie erklärten, dass sie sich ihm zum Dank für seinen Segen zu Füßen warfen und ihm ihre Treue versprachen. Der päpstliche Gesandte segnete die Menge ein letztes Mal, stieg in seinen Wagen, und das war es. An den Wänden der Kirche haftete die klebrige Erinnerung an die falschen Versprechen von Brüderlichkeit und hinderte den Staub daran, weiter in den Lichtstrahlen zu tanzen. Ein paar Augenblicke, vielleicht ein paar unentschlossene Stunden lang hatte er geschwebt, war er der Schwerkraft scheinbar entkommen und hatte unaufhörlich in der Luft herumwirbeln können, die damit gesättigt war, dann hatte er sich wieder gesetzt. Alle Bewohner begaben sich zurück ins Dorf, und jeder legte diesen besonderen Tag in seine kleine Schachtel der Erinnerungen. Die offiziellen Repräsentanten und ihre glänzenden Abzeichen verschwanden wieder. Die Taufe, mit ihrer Blüte unausgesprochenen Ekels, war also vorüber, und der August nahm die neuen Christen, das schwarze Schweigen ihrer Genossen und den Geruch von bei Gewitter geschnittenem Heu in Empfang.
Die Taufe war auf so rüde Art vereinnahmt worden, dass die Wirkung ins Gegenteil umschlug. Indem das Ereignis in solch großem Rahmen begangen worden war, hatte die Taufe zu einem Einschlaf-Märchen für brave Kinder werden sollen, doch sie traf auf eine Bevölkerung, deren Erstaunen größer war denn je, als eine weitere Explosion, die ihr teilweise die Augen öffnete. Obwohl man sie von jeder eingehenderen Unterhaltung mit den Internierten abhalten wollte, öffneten sich viele Bewohner von Tossicia dieser neuen Präsenz erst recht. Bei der Gelegenheit, nachdem die erste Neugier auf das Exotische vergangen war, fanden sie Wege, um ihnen nicht unbedingt Wärme, aber immerhin erste, deutliche, wenn auch diskrete Zeichen ihres ehrlichen Mitgefühls zukommen zu lassen, das die Chinesen sofort erspürten. Und es entging niemandem, dass die Komödie, in der ihre zivilen und ihre militärischen Bewacher sich als Paten ihrer Bekehrung in Szene gesetzt hatten, etwas Schäbiges hatte.
Was jedoch niemand bemerkt hatte, war, dass die Taufe, von dieser hübschen Geschichte für Zeiten des Krieges abgesehen, an sich bereits einen dunklen Glanz enthielt, der sich ein paar Wochen später offenbarte, als sich die angeordnete Begeisterung längst wieder gelegt hatte. In diesem Leben, in dem Einstimmigkeit die Regel war, war so getan worden, als hätten alle Chinesen ihren Glauben geändert, und nichts war getan worden, um dies zu widerlegen. Nun war das nicht nur unwahr, sondern darüber hinaus fühlte sich eine kleine Gruppe derer, die sich widersetzt hatten, dadurch provoziert. Die Bekehrten hatten für ihre Entscheidung hundert Gründe, darunter die allerbesten, die bei manchen in der Gruppe auf Wohlwollen, bei manchen auf Gleichgültigkeit stießen, einige jedoch, die sie gut kannten, fühlten sich gekränkt, und zwar diejenigen, die ihr altes Zuhause kannten, die wussten, aus welchem Dorf sie stammten, die ihre Familienrituale kannten und die Geschichten, die man sich auf der Brücke eines Schiffes erzählt, so wie man einander das Emaille-Medaillon seiner Familie oder Verlobten zeigt. Wut kam auf: Diese Kette von Verleugnungen, dieser bittere Staub taten weh. Es war eine flüssige, lebendige Wut. Eine reine Wut. Denen, die sie empfanden, zeigte sie, dass etwas wunderbar Organisches kursierte. Diese Wut war eine Erweckung, es war die Entdeckung von Bereichen in sich selbst, die Widerstand leisten konnten, Bereichen, die dem Massaker entkommen waren, Bereichen, die Ketten sprengen konnten. Sie hatten noch Kraft übrig. Sie hatten die Möglichkeit, nicht zu kapitulieren, und die Gruppen formierten sich neu. Eine brutale Verschiebung der Platten fand statt. Bis dahin hatte jeder aus der Gegenwart die träge Verlängerung seiner Vergangenheit gemacht, aber die Konvertierung und die Wut änderten alles, sie entstellten, spalteten und zementierten anschließend neue Blöcke. Die Wut strukturierte die neue Zeit der internierten Chinesen, man
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