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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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hatte er ihr da endlich zugelächelt. Und diesmal sehr intensiv, aber nur kurz, dann hatte ihn erneut etwas, das stärker war als er, eingeholt, und er hatte sich abgewendet, um wieder in seine Welt zurückzukehren. Niemand hörte, wie sie erzählte, dass sie sich so stark gefühlt hatte, so erfüllt von freudiger Wut angesichts dieses wiederholten Ausweichens, dass sie nicht lockergelassen hatte und dass sie sich eines Abends, um die Stunde des Hin- und Herwanderns in der Dämmerung, allein an das andere Ende der Esplanade vor alle hingestellt hatte, die sie im Halbdunkel hätten sehen können, standhaft, stolz, ihn zum Mann machend, indem sie ihn herausforderte, und dass er sie gesehen hatte. Dieses eine Mal war er aus seiner chinesischen Welt und aus der unmittelbaren Nähe des Camerone herausgetreten. Er war über den Kies gegangen, und sein Hinken hatte dabei ein ungewohntes Geräusch verursacht, und endlich war er näher gekommen. Sie hatten einander gegenüber gestanden. Ihre Blicke fanden sich ohne Mühe wieder. Und ganz langsam, denn etwas anderes war nicht möglich, weil die Galaxie sonst nicht standgehalten hätte, hatten ihre Hände, als sie einander gegenüber standen, ungelenk einander erst nur gestreift, dann berührt. Nacheinander gegriffen. Und einander gedrückt.
     
    Der Spaziergang auf das einsame Plateau, in diesem trüben Augenblick, unmittelbar bevor der Regen nicht mehr wegzudenken war, dieser Gang gab ihn sich selbst zurück, während er sich an dieser ausgedehnten Fläche berauschte, die so groß und leer war, leerer noch als sein Unglück. Seine Traurigkeit war ein Ozean, doch auf einmal hatte das unendliche Plateau jeden Tropfen davon in sich aufgenommen, die Gischt seines traurigen Lebens war auf die warme Erde gebrandet, die sie aufsog wie ein Schwamm, herrlich. Diese Erde hatte keine Angst, sie empfing den vom Himmel herabströmenden Regen und die unendliche Traurigkeit, sie nahm alles in sich auf, in so etwas wie einer stillen, bescheidenen Großzügigkeit, ohne viel Aufhebens, und anschließend konnte der Himmel wieder trocknen und das Herz eines Chinesen auch. Er spürte, wie die Wirkung unverzüglich eintrat, diesen Fluss, der tief in seinem Innern entsprang und aus ihm hinausfloss, um in die Erde einzutauchen. Und sie befreite ihn von diesem Schleim, den er aushustete, von diesen Schlingen, die nun herauskamen, genauso wie die Fäden herauskamen, die ihn mit den anderen verbanden, mit den anderen Chinesen, dieses Knäuel, das ihn zum Gefangenen machte, ihm verbot, er selbst zu sein. Er, der bis dahin nur einer von vielen gewesen war, stellte hier und jetzt fest, dass er er war, indem er sich, ohne Wut aber auch ohne Schwäche selbst aus dieser unbestimmten Einheit, die diese hundertsechzehn Chinesen oder so darstellten, verstieß, sich abseits davon hielt. Er war
einer
, er war der Mann, der auf das Plateau hinaufstieg, er hatte die Sonne die ganze Zeit im Rücken, aber sie wärmte ihn jetzt nicht mehr, und seine Sinne wurden wiedergeboren wie die Phönixe in den Büchern, jeder wanderte in eine andere Richtung, wurde aus ihm herausgeschleudert, um anschließend wieder dorthin zurückzukehren, nachdem er mit dem Plateau gesprochen und sich damit aufgeladen hatte. Dies war ihm eigen, er fand sich wieder und konnte mit seiner einzigartigen Vergangenheit wieder etwas knüpfen, von dem er hoffte, dass es eine erneute Verbindung war. Das, was er als Einziger sah, die Heide am Wegrand, der Wind in den Akazien, antwortete auf das, was er als Einziger zuvor erlebt hatte, bevor er einer von vielen geworden war: die Frau, die er zurückgelassen hatte, die wassergrünen Berge von Zhejiang, das Boot, der Regen auf den roten Mauern von Ferrara, wo er der erste und einzige Chinese seit Menschengedenken war, wenn er in den Straßen, die ein Gewitter leergefegt hatte, seinen Krawattenstand abbauen musste. Jeder verscharrte Moment fand in einer Weizenähre seinen Widerhall. Die schwarzen Wolken kamen jetzt auf ihn zu, sie quollen aus dem Sasso, auf den er blickte, hervor, sie waren sogar darüber hinweggezogen und nahmen den Himmel dahinter ein, und die Sonnenwärme verlor an Intensität, kalte Winde wehten seinen Oberkörper an, prallten mit ihm zusammen, und die Schauer, die ihm über den Körper liefen, waren deren Verlängerungen. Das Licht, das die Wolken herausforderte, wurde schließlich von ihnen verschluckt, und nach und nach verschwanden auch die letzten Lichtflecken, die Blätter und

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