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116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

116 Chinesen oder so: Roman (German Edition)

Titel: 116 Chinesen oder so: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Heams-Ogus
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sich, wie etwas in ihm zusammengebrochen war, an seine Bemühungen, die dadurch ausgelösten Erschütterungen nicht nach außen dringen zu lassen. Seine Panik, als er sie erblickte und als sie geradewegs in sein Innerstes hineinmarschierte, während es nach außen hin so aussah, als würde er mit den anderen Chinesen zusammen die letzten Stunden des Tages totschlagen. Hatte sie verstanden, dass er ihr mehrmals ausgewichen war, indem er mit der Menge verschmolz, indem er so tat, als verstehe er ihr wiederholtes Auftauchen nicht, und hoffte, dass niemand die Verbindung zu der Episode herstellte, als er den Sonnenstich gehabt hatte? Er hatte sich nicht gewappnet gefühlt, um das Schöne dieser Verwirrung zu empfangen, er hatte es mit aller Kraft zurückgewiesen, bis zu dem Abend, an dem ihr Augenblick wiederkam, als sie wieder allein waren, als die Zeit für die Dauer ihrer Berührung aussetzte. Dieser zweite wunderbare Moment, ihr letztes gemeinsames Aufglühen. Aber da waren zu viele Sterne, als dass ein schwacher Mann es überleben könnte, also löschte er das Glühen. Der Krieg verwandelte derartige Rätsel in Angst. Das machte ihn wütend, aber er hatte es dennoch tun müssen. Und dann war diese Frau, die sich jetzt wieder in sein Gedächtnis schob, allmählich von ihm vergessen worden. Sie hatte das Licht definiert, dann war sie verblasst. Die Erinnerungen an sie verschwanden, es wurde Abend, der Weg versank im Matsch. Am Schluss hatte es Ähnlichkeit damit, wie er und seinesgleichen, ohne jemals darüber zu sprechen, ihr Exil hier haben wollten, das sie in dieser Landschaft festhielt, von der sie kontinuierlich Abstand nahmen. Sich ständig von jedem Punkt ihrer Umgebung zu entfernen: Das war ihre Fremdheit, das war zugleich ihr stummer Wille, das war beinahe ein Sieg. Nicht nach einem Ausweg suchen, sondern alles zur gleichen Zeit zurückweisen, Leere dazwischenschieben. Solange sie machtlos waren und es keine Explosion gab, galt es, die Grenzen zu verwischen, sich in sein Inneres zu flüchten, damit die diskreten Formen des Anstands einen Raum hatten. So würden ihre Stunden in Isola sich einprägen, indem sie nur zurückweichend die Hände akzeptierten, die sich ihnen entgegenstreckten, indem sie niemanden ermutigten, auf sie zuzugehen, indem sie den Hass betäubten. Dieses notwendige Grau war gleichzeitig ihr Überleben und ihre Erschöpfung. Das war der Grund dafür, dass die Bewohner von Isola sie am Ende dieser Monate immer noch nicht wirklich als ihresgleichen ansahen. Jeder Dorfbewohner dachte etwas über diese Gefangenen, die in jeder Hinsicht von weither kamen und weit weg waren. An jenem Ort, wo sich die diversen Formen des Unvorstellbaren sammelten, änderte die Tatsache, dass sie Chinesen waren, nicht viel, außer dass dadurch die inneren Räume, in denen die Wut wuchs, größer wurden. Sie waren und blieben bis zum Schluss verschwommene Geschichten in den Köpfen, und das war ihr Werk. Diese Unschärfe, die ihr Wunsch war, spiegelte sich in dem Bild wider, das sie von sich selbst gaben. In dieser Welt, wo eine Berührung nichts anderes als ein Kratzen sein konnte, in diesen Zeiten, als man sich bei jeder Begegnung Verbrennungen zuzog, war diese Entscheidung auch ein Ersuchen nach Linderung. Die Unschärfe machte eine wattige Traurigkeit möglich: Im Großen und Ganzen war sie wertvoller als Tage, die die Form einer Klinge hatten, gleich, ob sie sie in der Hand hielten oder davon durchbohrt wurden. Die Klingen von Isola waren in den Hüllen geblieben, ihre Konturen und Reflexe ebenso. Zu dem Zeitpunkt, als er diesen aufgeweichten Weg entlangging, hatten sie dort schließlich nicht mehr als einen Winter verbracht und gerade mal zwei Sommer. Für dieses Land, welches den Befehlen aus Rom seine schweigende Langsamkeit entgegensetzte, war das wenig. Isola akzeptierte diese Unschärfe. Und darin respektierte das Dorf sie.
    Als Einzige oder eine von wenigen hatte die Frau ungewissen Alters diesen Gepflogenheiten ein Ende bereitet. So verstand er ihr Handeln, ihre Beharrlichkeit, ihre sich deutlich abzeichnende Gestalt. Das war es, was das Gewitter in dem Augenblick in ihm ertränkte. Sie verblasste, das war ihr letztes Geschenk, es ermöglichte die zerbrechliche Existenz einer Hypothese von Freiheit. Sie ging fort, verschwand. Das, was sie niemals miteinander geteilt hatten, würde bald enden. Das war ihr Vermächtnis, als hieße lieben wissen, wann man gehen muss. Ja, gut möglich, dass er das auf dem

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