1162 - Lukretias Horror-Welt
möglich erinnert werden. Wieder war sie von dieser ungewöhnlichen Spannung erfasst worden. Es war ein Rätsel zu lösen, doch diese Welt gab ihre Geheimnisse vorerst nicht preis.
Sie verbarg sich hinter den Schleiern aus Regen und Dunkelheit. Beides war zu einem konturenlosen Gemisch geworden, das auch die Umrisse der abgestellten Container und der hohen Hallen aufweichte.
Nur das gelbe Fernlicht schleuderte sein breites Band in die Finsternis hinein und traf plötzlich auf ein Ziel, mit dem weder Jane noch Suko gerechnet hatten.
Suko ging sofort vom Gas. Neben ihm flüsterte Jane: »Was… was ist das?«
»Nur ein Zelt.«
Sie lachte. »Wie passt das denn hierher?«
»Keine Ahnung. Aber das wird uns Lukretia sagen können, falls wir sie erwischen.«
Suko ließ den Wagen ausrollen und stellte ihn dann so hin, dass die Scheinwerferbahn in das Innere des Zelts leuchtete und dort auch ein Ziel traf.
Jane wäre beinahe vom Sitz in die Höhe gesprungen. Sie hielt sich im letzten Moment zurück.
»Verdammt, Suko, das ist ihr Wagen. Der Z 3. Mit dem bin ich auch gefahren.«
»Wunderbar, dann haben wir sie ja bald.«
»Dein Wort in meinem Ohr, Suko.« Jane schüttelte den Kopf. »Das glaube ich erst, wenn ich sie gesehen habe.«
»Verstecke gibt es hier genug.«
Jane wollte aussteigen, aber Suko legte ihr eine Hand auf den Arm. »Nicht so hastig.«
»Wieso? Hast du was gesehen?«
»Ja…« Er hatte seine Antwort gedehnt. »Wenn mich nicht alles täuscht, schleicht hier jemand herum. Ich sah einen Schatten, aber der hatte die Gestalt eines Menschen.«
»Wo hast du ihn gesehen?«
»Im Rückspiegel.«
Jane drehte sich um. Sie sah nichts und fragte: »Hast du dich nicht geirrt?«
»Nein.«
Suko hatte längst den Gurt gelöst. Er blieb noch einen Moment sitzen, dann wollte er die Tür öffnen. Dazu kam es nicht, denn wie aus dem Geisterreich oder besser aus der dichten Regenwand erschien der Mann vor ihrem Wagen. Er blieb davor stehen und hob seine Arme an. Dabei gerieten die Hände in ihr Blickfeld und sie sahen die beiden Messer mit den langen Klingen, die im Licht der Scheinwerfer gelblich glänzten.
»Du hast Recht! Kennst du den?«
»Woher?«
Wie zufällig warf Jane einen Blick in den zweiten Spiegel. Nahe am Auto schob sich eine zweite Gestalt heran. »Da ist noch einer!«, schrie sie und wurde wieder abgelenkt, denn eine dritte Gestalt zerrte die hintere Tür an der Fahrerseite auf.
Jane drehte sich.
Sie sah einen Mann, der seinen Oberkörper in den BMW hineingeschoben hatte, sich mit einer Hand auf dem Sitz abstützte und dabei war, die andere zu heben.
Auch er hielt ein Messer fest, um es Suko in den Nacken zu rammen…
***
Die Treppe war nicht besonders lang. Dennoch ließ ich mir Zeit sie zu überwinden, um einen Teil der Atmosphäre aufzunehmen, die hier herrschte.
Es ging in die Tiefe. Es ging in die Unterwelt - und zugleich auch in eine völlig andere Umgebung, die mit der Welt über mir nichts mehr zu tun hatte.
Hier war alles anders. Ich konnte nur staunen.
Am Ende der Treppe blieb ich stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen, was auch möglich war, denn dieses rätselhafte Licht breitete sich in alle vier Richtungen hin aus.
Ich hatte schon das Wort Urzeit von Lukretia gehört und mir darunter nichts vorstellen können. Das hatte sich bei meinem Eintreten geändert. Diese Atmosphäre strahlte etwas Urzeitliches aus, als wären hier alle bösen Dinge zusammengekommen.
Der Keim des Bösen!
Hier unten hatte er seine Zelle, und hier unten hörte ich auch das Pochen so laut wie nie. Das heißt, es war mehr ein Schmatzen und Pochen. Vor mir bewegte sich eine gewaltige Masse. Sie sah grau aus. Sie bestand aus einem weichen Material, das sich zu zahlreichen Windungen und Knoten zusammengedreht hatte. Die Masse schimmerte feucht, und bei jedem Pochen entstanden dünne Blasen, die sehr bald wieder zerplatzten.
Ich sah ein Gehirn!
Ein Riesengehirn und auch zugleich die Keimzelle des Bösen. Hier wurde das produziert, was später durch die bedauernswerten Menschen umgesetzt wurde. Gedanken, die andere zerstören sollten, und die sogar sichtbar gemacht wurden.
Über der Masse schwebte der dunkle Nebel. Diese Rußstreifen verteilten sich in mehrere Bahnen, wobei eine davon die Verbindung mit Lukretia aufgenommen hatte.
Sie stand an der anderen Seite des Gehirns und dicht vor einem in das Gestein gehauenen Bildnis eines schrecklichen Götzen mit einem breiten Froschmaul, mächtigen
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