1165 - Von Angst gepeitscht
davon ausgehen, dass wir Beau Leroi nicht mehr fanden. Möglicherweise hatte er schon alles hinter sich gebracht.
Suko machte den Anfang. Er stellte sich auf die Zehenspitzen und legte beide Hände um den kantigen Rand der Brüstung. Schwungvoll zog er sich in die Höhe. Mit einer geschmeidigen Bewegung überwand er die obere Grenze und ließ sich an der anderen Seite zu Boden sinken. Er warf einen ersten Blick in die Wohnung, kehrte noch einmal zur Brüstung zurück und winkte mir zu.
»Was ist?«, fragte ich.
»Leroi ist wohl nicht mehr da.«
»Mist.«
»Ich will trotzdem noch nicht rein!«, flüsterte Pamela Morton. »Ich halte mich bei einer Freundin auf. Ich werde bei ihr schellen. Sie heißt Becky Hill und wohnt eine Etage höher.«
»Ist gut.«
Als Pamela zur Haustür ging, um dort zu klingeln, enterte auch ich den Balkon. Ein Blumenkasten war aus der Halterung gefallen. Er lag innen und hatte sich beim Fall entleert. Pamela musste ihn auf der Flucht aus der Halterung gerissen haben.
Suko hatte seinen Weg durch die offene Tür ins Zimmer gefunden. Es war dort nicht völlig dunkel.
In einer Ecke brannte eine Lampe, die einen recht schwachen Schein abgab. Er fand sich auch auf dem Bildschirm eines Fernsehers wieder.
Beau Leroi war hier gewesen. Wir konnten es riechen. Dieser typische alte Geruch lag in der Luft.
Es war schwer, ihn zu beschreiben, aber er war uns nicht unbekannt. Und noch etwas roch ich. Es war der Geruch von Blut.
Suko drehte mir den Rücken zu. Er bewegte sich nicht und schaute nach vorn. Den Kopf hielt er etwas gesenkt, weil er das betrachten wollte, was auf dem Boden lag.
Er gab auch keinen Kommentar ab, als ich neben ihm stehen blieb. Ich sah selbst, was Beau Leroi mit dem Mann gemacht hatte, der Pamela besucht hatte.
Er war durch das Absaugen des Bluts zu einem Vampir geworden. Aber er würde nie mehr auf die Jagd nach einem Opfer gehen, denn Beau Leroi hatte ihn auf seine Art und Weise getötet. Von dem großen Messer hatte uns Pamela ebenfalls berichtet, und genau das hatte dieser Unhold auch eingesetzt.
Ich tat es nicht gern. Es war mir auch nicht wohl dabei, aber ich musste es genauer wissen. Deshalb holte ich meine kleine Lampe aus der Tasche und leuchtete das an, was vor unseren Füßen lag.
Ja, wir hatten uns nicht geirrt. Wir sahen es überdeutlich. Wir kannten es aus diesem verdammten Versteck, in das der Vampir seine Opfer geworfen hatte.
Zweimal ließ ich den Lichtstrahl über das huschen, was Leroi von dem Mann übrig gelassen hatte.
Dann wandte ich mich ab und spürte das weiche Gefühl in meinen Knien. Ich lehnte mich rücklings gegen die Wand und atmete tief durch, aber den verfluchten Geschmack und Geruch bekam ich nicht aus dem Mund.
Mit mechanischen Gehbewegungen verließ ich das Zimmer und betrat das kleine Bad. Ich spritzte Wasser in mein Gesicht und freute mich über die Abkühlung. Äußerlich ging es mir besser. Innerlich nicht. Als ich mich umdrehte, stand Suko in der offenen Tür. Sein Gesicht war sehr ernst.
»Verstehst du das, John?«
»Mallmann hat versucht, es mir zu erklären. Leroi ist ein Einzelgänger. Ein einsamer Wolf unter den Blutsaugern. Er kennt nur sein Ziel. Er will sich sättigen, aber er will keine neuen Geschöpfe erschaffen, die so sind wie er. Deshalb kam Dracula II auch nicht mit ihm zurecht. Es ist wider alle Regeln, Suko. Für Mallmann ist er nichts anderes als ein dreckiger Verräter. Irgendwie verstehe ich ihn sogar, weil er auf Expansion aus ist.«
»Ich verstehe ihn trotzdem nicht«, sagte Suko mit leiser Stimme. »Wenn Mallmann ihn so sehr hasst, warum vernichtet er ihn dann nicht? Fürchtet er sich vor Leroi? Das kann ich mir kaum vorstellen. Er ist doch der Chef im Ring. Er hat die verdammte Vampirwelt aufgebaut und diese schaurige Dimension erschaffen. Also müsste er auch dafür sorgen, dass die Regeln eingehalten werden.«
»Im Normalfall schon«, sagte ich. »Aber was ist hier schon normal, Suko? Ich stehe auch vor einem Rätsel, und dir wird es kaum besser gehen.«
»Da sagst du was. Übrigens habe ich mich in der Wohnung umgeschaut. Er ist natürlich nicht mehr hier. Aber ich habe etwas anderes entdeckt.« Er lächelte. »Etwas, das auf den Beruf einer gewissen Pamela Morton schließen lässt. In ihrem Schlafzimmer findest du einige diverse Gegenstände, die auch in das Studio einer Domina gepasst hätten. Vermutlich ist sie ein Callgirl.«
»Nun ja, ist ja auch nicht so ungewöhnlich, schätze ich.
Weitere Kostenlose Bücher