1166 - Der Erschrecker
Pritt.«
»Ach.« Er war erstaunt. »Wohin möchten Sie dann?«
»Mal eine Frage zuvor. Können Sie mir vielleicht ein Fahrrad leihen?«
Edwin überlegte. »Ein Rad?«, wiederholte er. »Ja, wir haben zwei Räder.«
»Das ist gut.«
Er wusste nicht, ob er lachen oder ernst bleiben wollte. »Wohin wollen Sie denn fahren? Ich kann mir denken, dass Ihnen die Flucht auf dem Rad besser gelingt, aber…«
»Es wird bei mir keine Flucht geben«, erklärte ich. »Ich möchte nur zu einem anderen Ziel fahren.«
»Darf ich erfahren, wohin?«
»Ich bleibe in der Nähe. Hamlin Station.«
»Verdammt.« Er trat zurück. »Was wollen Sie denn ausgerechnet dort?«
»Ihre Frau hat berichtet, dass man diesen Ort nicht ganz geheuer findet.«
»Ja, ja«, gab er zu. »Das stimmt. Dort ist es unheimlich. Es gibt kaum einen Menschen, der sich da hintraut. Zumindest kenne ich keinen. Um Hamlin Station ranken sich Sagen und Legenden. Keine davon ist irgendwie positiv.« Er senkte seine Stimme. »Der Ort ist gefährlich. Sie werden Ihr Leben verlieren.«
»So leicht ist das nicht. Schließlich will ich Ihren Erschrecker mal aus der Nähe sehen.«
»Danach sind Sie tot!«
»Abwarten. Sie jedenfalls sollten im Haus bleiben und sich um Ihre Frau kümmern.«
»Darauf können Sie sich verlassen.«
»Wunderbar. Und was ist mit dem Rad?«
»Kommen Sie mit zum Stall. Da gebe ich es Ihnen.« Er ging vor und schüttelte den Kopf.
Wahrscheinlich hielt er mich für einen Selbstmörder.
Mir bereitete dieser Erschrecker weniger Sorgen als die Tatsache, dass ich mich noch im Jahr 1952 befand und jetzt noch nicht wusste, wie ich wieder zurück in meine Zeit kam.
Bisher hatte sich noch immer ein Weg gefunden. So hoffte ich, es auch diesmal zu schaffen.
***
»He, das ist ja einmalig, ehrlich. Ich bin völlig weg! Danke, Hank.«
»Wofür?«
Die blonde Cathy warf sich rücklings auf die Decke, die sie auf dem Grasboden ausgebreitet hatte. »Ich hätte nicht gedacht, dass du dein Versprechen einhältst. Ein Picknick in der Nacht. Und nur wir beide. Und wir brauchen nicht mal zu Fuß zu gehen oder mit den Rädern zu fahren. Ist das nicht einmalig?«
»Bei mir ist alles einmalig.«
Hank Taylor stand vor Cathy und schaute auf sie nieder. Was er sah, gefiel ihm gut. Cathy hatte einen tollen Körper. Sie trug zu der dünnen Bluse einen blauen Rock, recht eng, und der war in die Höhe gerutscht, sodass viel von ihren Beinen zu sehen war. Das dichte Blondhaar hatte sie zu einem buschigen Pferdeschwanz im Nacken zusammengebunden, und ihre Hände hatte sie hinter den Kopf gelegt.
Sie hatte Recht. Es war schon außergewöhnlich, mit einem Auto zum Picknick fahren zu können. Der Wagen gehörte Hanks Vater, dem Bauunternehmer. Es war ein Gefährt, das an die amerikanischen Pickups erinnerte. Jedenfalls mit einer offenen Ladefläche versehen, auf der tagsüber alles Mögliche vom Bau transportiert wurde.
Hank hatte ihn für einige Stunden leihweise bekommen. Da ließ sich der alte Herr nicht lumpen. Es war quasi die Belohnung dafür, dass Hank oft im Geschäft mithalf.
Mit diesem Auto konnte er über Land reisen. Er wollte nie an der gleichen Stelle bleiben und Mädchen aufreißen. So kannte er bereits viele Dörfer in der Umgebung, und er hatte sich eigentlich nie einen Korb gefangen. Die Girls waren immer gern mit ihm gefahren, denn wer hatte schon als junger Mensch ein Auto?
Hank war groß, schlank, eigentlich immer locker und nahm das Leben mit seinen 24 Jahren von der leichten Seite. Er würde die Firma seines Vaters mal übernehmen, arbeitete bereits seit drei Jahren dort und genoss ziemlich viele Freiheiten.
Aus dem Weinkeller seiner Eltern hatte er eine Flasche Roten aus Italien besorgt, auch etwas Brot und Käse. Er hatte mal gelesen, dass man so etwas zum Wein aß.
Er ließ sich auf der Decke nieder. Seine sehr schlanke Gestalt klappte dabei zusammen. Er hockte im Lotussitz vor seiner neuen Eroberung und zupfte die Decke zurecht. Hank war kein Schönling, dafür war sein Gesicht zu uneben geschnitten, aber er hatte stahlblaue Augen, was manches Mädchen faszinierte.
Cathy richtete sich wieder auf. »Wo sind wir eigentlich genau hingefahren? Ich habe auf der Fahrt nicht darauf geachtet.«
»Wir sind in der Nähe von Hamlin.«
»Ho, das sind ein paar Meilen.«
»Ja. Aber hier haben wir unsere Ruhe.«
Cathy hob die Schultern. »Ich weiß nicht so genau, ob es auch zutrifft.«
»Ha? Was stört dich denn?«
Sie senkte den Kopf.
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